Ausgabe 50 - ADHS Aktuell - 04.2017
Editorial
Im aktuellen Newsletter gibt es Spannendes zu entdecken:
- Isolde Schaffter-Wieland beleuchtet aus verschiedenen Blickwinkeln, was eine Mutterschaft für ADHS-betroffene Frauen bedeutet und wie Fachpersonen ihre Klientinnen unterstützen können;
- Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund gehen in ihrem Artikel „Was wir über Konzentration und Aufmerksamkeit wissen müssen“ der Frage auf den Grund, was sich hinter diesen Fähigkeiten verbirgt, wie diese mit unterschiedlichen Lern- und Leistungsproblemen zusammenhängen, und ob sie sich trainieren lassen;
- Dr. med. Barbara Doll zeigt anhand eines Fallberichts dreier Geschwister mit ADD auf, inwiefern qEEG bei der Auswahl einer adäquaten Stimulanzienbehandlung helfen kann;
- Aktuelle Veranstaltungshinweise hat Felicitas Furrer Iseli für Sie zusammengestellt.
Herzliche Grüsse,
Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund
ADHS und Mutterschaft: Achterbahn der Gefühle
Isolde Schaffter-Wieland
Über die ADHS wurde in den letzten Jahrzehnten sehr viel geforscht, vorwiegend hinsichtlich des Kindes- und Jugendalters. Da die Diagnosestellung für Erwachsene noch verhältnismässig jung ist, erstaunt es nicht, dass über die Auswirkungen während der Schwangerschaft und Stillzeit fast keine Erkenntnisse vorliegen. Vor allem, was die Medikation der betroffenen Frauen als werdende oder stillende Mütter anbetrifft. Dies war der Grund, dass ich mich als ADHS-Coach mit dieser Thematik intensiver auseinandersetzte.
In der Frühphase der Schwangerschaft wird von einer Stimulanzien-Einnahme abgeraten. Doch wie steht’s danach und während der Stillzeit? Auch dann gilt in Fachkreisen offiziell ein klares Nein.
Der deutsche ADHS-Spezialist und Mediziner Martin Winkler schreibt: „Sorgfältigere Untersuchungen zur Auswirkung einer Methylphenidat-Therapie bei Schwangeren sind selten. In einer Studie von insgesamt 3082 Müttern wurden insgesamt 11 Frauen identifiziert, die Methylphenidat eingenommen hatten. Bei keinem ihrer Kinder wurden Auffälligkeiten berichtet. In einer weiteren Studiengruppe wurde bei einem von 13 Kindern ein Herzfehler gefunden (wobei nicht klar ist, ob ein Zusammenhang mit der Medikamenteneinnahme besteht).
Ein erhebliches Risiko stellt jedoch der Missbrauch von Stimulanzien (z.B. intravenöse Gabe von Methylphenidat) dar. Hier sind Missbildungen bekannt. Auch bei der Gabe von Amphetaminen in missbräuchlichen Dosierungen ist mit einem Risiko für das Ungeborene zu rechnen.“ (Quelle: web4health.de)
Da ADHS-betroffene Frauen im Vergleich häufiger ungeplant schwanger werden (Pille vergessen, ungeschützter Sexualkontakt), kommt es zwangsläufig vor, dass zum Zeitpunkt der noch nicht festgestellten Schwangerschaft Stimulanzien oder Antidepressiva eingenommen werden. Das Absetzen der Medikation kann für einzelne Frauen zur Herausforderung werden, vor allem, wenn sie aufgrund von Komorbiditäten mit weiteren Psychopharmaka behandelt werden. In diesem Falle ist gemäss Dr. Dominique Eich (PUK Zürich) eine achtsame und individuelle Beratung der betroffenen Schwangeren zwingend notwendig.
Das Forschungsinstitut der Berliner Charité untersucht gezielt die Auswirkungen von Medikamenten auf Schwangere und Stillende – und ist mit einem online-Service auch für Hebammen zugänglich (www.embryotox.de). Nachfolgende Informationen sind dieser Homepage entnommen:
Planung einer Therapie oder Planung einer Schwangerschaft unter Therapie: Eine Neueinstellung bzw. eine Therapiefortsetzung in der Schwangerschaft sollte streng und kritisch überprüft werden.
Konsequenzen nach Anwendung in der Schwangerschaft: Bei Exposition im 1. Trimenon sollte eine sonographische Feindiagnostik zur Bestätigung einer unauffälligen fetalen Entwicklung angeboten werden. Sorgfältige Schwangerschaftsüberwachung und engmaschige psychiatrische Kontakte, um rechtzeitig Krisen bei der Mutter und Entwicklungskomplikationen beim Fötus (Frühgeburtsbestrebungen, Wachstumsretardierung) begegnen zu können. In den Tagen nach der Geburt sollte auf Anpassungsstörungen beim Kind geachtet werden.
Wie steht es mit dem Stillen? Müssen Mütter darauf verzichten, wenn sie für die Alltagsbewältigung auf die Unterstützung durch ein Medikament angewiesen sind?
Embryotox.de macht folgende Angaben bezüglich Muttermilch und Methylphenidat:
Pharmakokinetik: HWZ: 2-4 h, Metabolite: 7 h; Proteinbindung: 15%; molare Masse: 269; relative Dosis (Anteil an der gewichtsbezogenen Tagesdosis der Mutter, den ein vollgestillter Säugling pro Kg seines Körpergewichts in 24 Stunden mit der Milch erhält): 0,2-0,9%; M/P-Quotient (Konzentration des Medikaments in der Milch geteilt durch die Konzentration des Medikaments im mütterlichen Plasma): 2,8; orale Bioverfügbarkeit: 95%. Kein Nachweis von Methylphenidat im Serum eines gestillten Kindes! Es liegen keine Hinweise auf klinische Auffälligkeiten bei den gestillten Kindern vor, allerdings ist die Datenlage unzureichend. Empfehlung: Unter Vorbehalt und bei Monotherapie ist Stillen bei guter Beobachtung des Kindes akzeptabel.
Mutter werden: wunderschön – Mutter sein: erschöpfend
Doris Ryffel-Rawak, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, hat in ihrem Buch „ADHS bei Frauen – den Gefühlen ausgeliefert“ die Schicksale von 16 Frauen erzählt und kommentiert. Darin hält sie fest, dass die Schwangerschaft für ADHS-betroffene Frauen oft die beste Zeit ihres Lebens sei. „Wenn es möglich wäre, möchte ich immer schwanger sein. Dann bin ich ausgeglichen, kann mich organisieren, ich packe alles an, nichts bleibt liegen und ich fühle mich rundherum wohl“, schildert eine Patientin. Gleichzeitig beschreibt die Autorin eine andere Frau, die Zwillinge zur Welt brachte. Sie stillte diese während eines halben Jahres und es schien, als hätten sich die ADHS-Symptome verflüchtigt. Zwei Monate nach dem Abstillen kehrten jedoch Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen sowie ihre mangelhafte Organisationsfähigkeit zurück.
Diese Aussagen decken sich mit den Erfahrungen meiner Klientinnen und untermauern auch den Einfluss der Hormone.
Einblick ins Gefühlserleben von ADHS-betroffenen Personen
Erzählen von einer ADHS betroffene Personen von emotionalen Überreaktionen oder unerklärlichen Stimmungsschwankungen, so betrifft dies häufig beide Geschlechter. Auch was impulsive Gefühlsausbrüche oder die Schwierigkeit anbetrifft, bei Frust oder Wut die Kontrolle zu bewahren. Die mangelhafte Affektkontrolle ist jedoch nicht das einzige Symptom, das in Partnerschaften oft zum Bruch führt. Auch die enorme Herausforderung, die Gefühlsbalance zwischen Hoch und Tief zu finden, wirkt sich auf die Betroffenen aus. Ihr emotionales Innenleben ist komplex und ihre Gefühlswelt geprägt von ihrer Reizoffenheit - sie empfangen Sinneseindrücke wie etwa Bilder, Klänge, Düfte viel stärker als andere. Sie haben oft eine hohe Sensibilität für Stimmungen und Schwingungen anderer Personen, aber es fällt ihnen zuweilen schwer, diese einzuordnen oder zu deuten. Was einerseits nach einer Gabe klingt, ist andererseits auch eine Belastung. Besonders dann, wenn zu viele Reize den Betroffenen überfluten. Freude oder Leid werden intensiv erlebt. Mit der Geburt eines Kindes und seiner Pflege gerät die Mutter also förmlich in eine Achterbahn der Gefühle.
Mit welchen Problemen können Fachpersonen konfrontiert werden?
Eine von ADHS betroffene Mutter ist mit ihren Alltags-Aufgaben rasch überfordert. Sie versucht, gegenüber ihrem Kind alle Pflichten perfekt zu erfüllen, gerät ständig in Zeitnot, stellt ihre eigenen Bedürfnisse hinten an, ist verunsichert, zweifelt an ihren Fähigkeiten oder leidet unter einem starken Baby Blues. Falls noch andere Kinder da sind, kann sich aus der ständigen Überforderung eine Erschöpfungsdepression entwickeln. Insbesondere „Schreikinder“ bringen diese Mütter an ihre Grenzen.
Die Beziehung zum Kindsvater leidet unter der Belastung. In der Regel hat wohl jede Mutter ihre Alltagsschwierigkeiten, aber nicht in einem Ausmass, wie dies bei ADHS-betroffenen Frauen der Fall sein kann.
Forscher aus den USA haben das Erziehungsverhalten von Müttern mit ADHS untersucht und festgestellt, dass sie bezüglich Organisation, Planung, Aufmerksamkeit, Absprachen, Gefühls- und Impulskontrolle für ihre ebenfalls betroffenen Kinder unter Umständen keine Vorbildwirkung haben können und der Nachwuchs weniger gut lernt, sich selbst zu steuern. Aufgrund dieser Erkenntnisse wurde den Müttern ein spezielles Training angeboten, das sich in seiner Wirkung als aussichtsreich erwies. Dies wiederum weist auf die Bedeutung von Psychoedukation oder Coaching hin.
So können begleitende Fachpersonen Mütter unterstützen
- Primär gilt es, Druck abzubauen und Verständnis für die Situation zu entwickeln und zu zeigen.
- Gemeinsame Gespräche einbauen, in denen die Mutter ihre Bedürfnisse und Befürchtungen kommunizieren darf.
- Einen Wochenplan aufstellen und gut sichtbar aufhängen (z.B. Magnettafel), damit die Mutter zwischen der „Fremdbestimmung“ durch den Säugling auch feste Tagesstrukturen hat.
- Einen Terminkalender führen, damit wichtige Termine nicht vergessen gehen.
- Wenn Sie Überforderung wahrnehmen, ist der Aufbau eines entlastenden Netzes sinnvoll. Abklären, ob dies innerhalb der Familie möglich ist. Ansonsten aufsuchende Sozial- oder Familienbegleitung organisieren.
Isolde Schaffter-Wieland (1955), verheiratet und Mutter von zwei Kindern, ADHS- und Beziehungs-Coaching, Sozialbegleitungen, ILP-Paartherapeutin, Medienverantwortliche elpos Schweiz, Mitglied sfg adhs
Was wir über Konzentration und Aufmerksamkeit wissen müssen
Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund
Aufmerksamkeit – was ist das eigentlich?
Aufmerksamkeit ist eine Fähigkeit. Wie gut sich diese Fähigkeit entwickelt, hängt einerseits von bestimmten Genen ab, aber auch von Erfahrungen und der Lerngeschichte des Menschen. Wenn diese Fähigkeit gut ausgebildet ist, gelingt es uns besser:
- einzelne Reize aus der Umwelt zu filtern
- uns bestimmten Dingen oder Inhalten zuzuwenden
- Ablenkungen auszublenden.
Aufmerksamkeit und Konzentration: ein und dasselbe?
Konzentration ist nur ein Teilbereich von Aufmerksamkeit. Konzentriert ist, wer sich über einen längeren Zeitraum auf eine begrenzte Aufgabe oder einen Gegenstand fokussieren kann. Im Großraumbüro konzentrieren wir uns so gut wie möglich auf den Projektantrag, den wir prüfen möchten, und versuchen dabei, uns nicht von den Gesprächen, klingelnden Telefonen und vorbeilaufenden Arbeitskollegen ablenken zu lassen. Ein Grundschulkind am Schreibtisch vertieft sich ganz in das Rechenblatt und widersteht dabei dem Wunsch, mit den Spielsachen zu spielen, die überall in seinem Zimmer verteilt sind und ihm ins Auge stechen. Diese Form der Aufmerksamkeit hat in den letzten Jahren massiv an Bedeutung gewonnen. Ablenkungen lauern überall. Die Fähigkeit, den eigenen Fokus bewusst zu steuern, nicht ständig zwischen Tätigkeiten hin- und her zu hüpfen und sich nicht dauernd unterbrechen zu lassen, ist in unserer hektischen, modernen Welt unerlässlich geworden.
Gleichzeitig ist ein anderer Bereich von Aufmerksamkeit in den Hintergrund gerückt: die Vigilanz, auch allgemeine Wachsamkeit genannt. Gemeint ist die Bereitschaft, genau wahrzunehmen und prompt zu reagieren. Diese Form der Aufmerksamkeit war in früheren Zeiten überlebenswichtig: als Jäger und Sammler galt es, stets auf der Hut zu sein – Vorteile hatte, wem jedes Rascheln im Gebüsch, jede Bewegung im Augenwinkel, jede verwischte Fährte im Wald auffiel. Mithilfe der Vigilanz gelang es unseren Vorfahren, Beutetiere aufzuspüren und nahenden Feinden rechtzeitig die Stirn zu bieten.
Kinder mit klassischen Aufmerksamkeitsproblemen sind oftmals besonders vigilant: sie sind sehr reizoffen – egal ob Bilder, Geräusche oder Gerüche; alle Eindrücke werden aufgesaugt wie ein trockener Schwamm. Gleichzeitig haben sie oftmals Mühe mit der Konzentration: ihr Fokus lässt sich vom Geschehen treiben und verlagert sich dorthin, „wo etwas los ist“. Aufgaben können kaum zu Ende gebracht werden, weil mit allen Ablenkungen mitgeschwungen wird.
Welche Faktoren beeinflussen die Aufmerksamkeitsleistung?
Viele Forscher/innen gehen der Frage nach, welche Bedingungen die Aufmerksamkeit beeinflussen. Typischerweise zollen wir Menschen großen, farbigen Reizen, die sich bewegen mehr Beachtung. Dies erklärt auch, warum bereits Babys wie hypnotisiert an einem laufenden Fernseher kleben. Auch Dingen, die neu für uns sind, uns persönlich betreffen oder emotional anrühren, wenden wir uns eher zu. Vielleicht verfolgen auch Sie manchmal gebannt die rührseligen Bilder, Werbevideos und Geschichten, die auf Facebook & Co. kursieren. Zuletzt orientieren wir uns an unseren Mitmenschen: So fokussieren wir eher auf Geschehnisse, Bilder oder Inhalte, die von anderen mit Neugier aufgenommen werden. Man denke hierbei an die kilometerlangen „Gaffer-Schlangen“ nach Unfällen auf der Autobahn.
Auf der anderen Seite fällt es uns schwerer, uns zu fokussieren, wenn das Material nicht interessant ist oder zu viele Reize auf einmal auf uns einströmen. Nachteilig wirken sich auch emotionale Ablenkungen aus, beispielsweise ein laufender TV oder eine Radiosendung, Textnachrichten, Gespräche im Nebenraum oder Gegenstände, die in uns den Wunsch auslösen, zu spielen oder etwas anderes zu tun. Auch Müdigkeit, Hunger oder Übersättigung und körperlichen Bedingungen (hormonelle Schwankungen, Mangelzustände, Verletzungen des Nervensystems) wird ein negativer Effekt zugeschrieben. Zudem konnte die klinische Psychologie nachweisen, dass Einschränkungen in der Aufmerksamkeitsleistung sich auch bei psychischen Beeinträchtigungen erkennen lassen, z.B. bei Dauerstress, ADHS, Depressionen oder Ängsten.
Aufmerksamkeit – ein Zusammenspiel mehrerer Gehirnnetzwerke
Das menschliche Gehirn verfügt über drei große Aufmerksamkeitssysteme bzw. –netzwerke, die jeweils für unterschiedliche Aufgaben zuständig sind (z.B. Petersen & Posner, 2012).
Sehen wir uns die drei Aufmerksamkeitsnetzwerke im Detail an:
- Das „Alerting“-Netzwerk
- Das Orientierungsnetzwerk
- Die exekutive Kontrolle
Wie Sie im Laufe dieses Artikels lesen werden, sind Auffälligkeiten in diesen Netzwerken mit spezifischen Aufmerksamkeitsproblemen verbunden.
„Ich bin wach und bereit!“ - Das Alerting-Netzwerk
Das sogenannte „Alerting“-Netzwerk hat die Aufgabe, uns Menschen dauerhaft in einem wachen, geistig offenen, konzentrierten Zustand zu halten. Es bereitet den Körper darauf vor, Informationen aufzunehmen und Warnsignale frühzeitig auszumachen. Wir können uns dieses Netzwerk wie einen großen Radarschirm vorstellen, der Eindrücke aus der Umgebung einfängt. Interessanterweise zeigt die Forschung, dass dieser Radarschirm offenbar einem gewissen Arbeitsplan folgt. Denn wie gut dieser funktioniert, hängt auch von der Tageszeit ab. Am frühen Morgen und am späten Abend bzw. in der Nacht kommt es zu verzögerten Reaktionszeiten. In diesen Phasen passieren auch deutlich öfter Verkehrs- oder Arbeitsunfälle – Momente der Unachtsamkeit nehmen zu. Aber nicht nur die Tageszeit, sondern auch Ängste und Stress können dem Alerting-Netzwerk einen Strich durch die Rechnung machen (z.B. Pilar Pacheco-Unguetti et al. 2010), wie das folgende Beispiel zeigt:
Sina* kann nicht lernen
Sina wird von ihren Eltern als ein fröhliches, gesprächiges, zugewandtes Kind beschrieben. Seit Beginn des neuen Schuljahres ist das Mädchen jedoch wie ausgewechselt: sorgenvoll beobachten die Eltern, wie sich ihre Tochter mehr und mehr zurückzieht und kaum mehr ein Wort redet. Sina hütet ein Geheimnis: sie wird in der Schule gemobbt. Fast jede ihrer Wortmeldungen quittieren die Mitschüler/innen mit einem fiesen Kommentar oder hämischen Lachen. Auch die Pausen sind zur Tortur geworden - Sina bleibt nichts anderes übrig, als sich auf dem WC zu verstecken. Durch viele Übergriffe gezeichnet achtet Sina mittlerweile penibel darauf, ihren Nachhauseweg so zu organisieren, dass sie ihren Widersachern ja nicht über den Weg läuft. Die Schule ist kein sicherer Ort mehr. Die tägliche Angst vor neuen Übergriffen bestimmt ihren Alltag. Angetrieben von dieser Angst arbeitet ihr innerer Radarschirm unter Hochdruck. Jedes Gemurmel im Klassenzimmer, jede Gesichtsregung eines Mitschülers, jede Bewegung hinter ihrem Rücken wird angstvoll registriert. Das Ziel: nicht eiskalt überrascht zu werden. Sinas Körper befindet sich im Überlebensmodus, ihr „Alerting-Netzwerk“ arbeitet ohne Unterlass. Es sucht die Umwelt permanent nach möglichen Gefahrenquellen ab. In diesem Zustand wird es für Sina unmöglich, die Inhalte des Unterrichts aufzunehmen und sich mit dem Stoff auseinanderzusetzen.
Solange die Schule kein sicherer Ort für Sina ist, wird sich ihr Gehirn in andauernder Alarmbereitschaft befinden. In diesem Notfallmodus wird ihr Geist von allem in Beschlag genommen, das prinzipiell auf eine Gefahr hindeuten könnte (jeder Blick, jedes Räuspern, jede Bewegung der Klassenkameraden). Daher bekommt sie kaum mehr etwas vom Unterricht mit, die Noten gehen in den Keller. Aber Sina benötigt keine Nachhilfe, kein Lerncoaching und kein Verhaltenstraining. Sie benötigt eine Schule, die Verantwortung übernimmt, das Mobbing auflöst und die Klasse zu einem Ort zu macht, an dem sich alle Schüler/innen angstfrei bewegen können. Denn nur wenn sich Sina sicher fühlt, kann sie sich wieder auf den Unterricht konzentrieren. Nur dann wird das Gehirn in einen aufnahmebereiten Zustand versetzt. Kurzum: Ihr Radarschirm braucht die Rückversicherung, dass keine Gefahr mehr droht und er sich „guten Gewissens“ wieder inhaltlichen Belangen zuwenden kann.
(Hinweis für Fachpersonen: Ein Blick ins Gehirn zeigt, dass das Alerting-Netzwerk vorwiegend durch den Botenstoff Noradrenalin moduliert wird. Involvierte Hirnbereiche sind der Locus Coeruleus, der frontale Cortex, parietale Bereiche, der rechte cerebrale Kortex sowie der Thalamus.)
„Was ist denn hier los?!“- Das Orientierungsnetzwerk
Das Orientierungsnetzwerk organisiert alle Informationen, die über unsere Sinneskanäle auf uns einströmen. Blitzschnell nimmt es eine erste Bewertung vor: „Wo kommt der Reiz her? Handelt es sich um ein Bild, ein Geräusch, eine Körperempfindung, einen Geruch oder Geschmack? Ist diese Information wichtig oder unwichtig? Soll ich mich ihr zuwenden?“ Diese Bewertung läuft unbewusst und innert Sekundenbruchteilen ab. Vielleicht erinnern Sie sich an einen Moment, in dem Sie ein lautes Geräusch hörten und sich beinahe instinktiv umdrehten, um nachzusehen, was los ist. Dies ist eine typische Reaktion, die vom Orientierungsnetzwerk gesteuert wird. Es entscheidet also mitunter darüber, wohin sich unser Aufmerksamkeitsfokus verschiebt.
(Hinweis für Fachpersonen: Das Orientierungsnetzwerk wird hauptsächlich über den Botenstoff Acetylcholin gesteuert. Beteiligt sind cholinerge Systeme, die ihren Ursprung im basalen Vorderhirn haben sowie parietale Bereiche).
Sandra* vermasselt die Mathe-Prüfung
Nach einer Lehre und mehreren Berufsjahren als Altenpflegerin konzentrierte sich Sandra vollends auf ihre beiden Kinder. Nun, da ihre Töchter flügge geworden waren, flackerte in ihr der langgehegte Wunsch auf, auf ihre „alten Tage“ (wie sie es selbst nannte) noch zu studieren. Bereits im ersten Studienjahr suchte Sandra aufgrund massiver Prüfungsängste einen Lerncoach auf. Die Statistikprüfungen machten ihr das Leben schwer. Schon Wochen vor den Klausuren fühlte sie sich wie gelähmt. Die Angst kroch ihr in die Glieder, sie kam sich „alt, dumm und überfordert“ vor und an der Prüfung selbst „ging gar nichts mehr“. Unter deutlicher Anspannung erzählte sie, wie ihr Sorgenkarussell kaum jemals still steht: „Was ist, wenn ich durchfalle? Was ist, wenn mir plötzlich nichts mehr einfällt? Bist du eigentlich dumm, wieso kapierst du das denn nicht?! Jetzt konzentriere dich endlich!“
Sandra selbst bezeichnete die Angst vor Mathematik als ihren „wohlbekannten Begleiter“. Schon in der Schule war das Rechnen ihr Problem- und Panikfach gewesen. Die leistungsorientierte, strenge Mutter habe oft stundenlang mit ihr gelernt, bei schlechten Noten gab es nicht selten Schimpftiraden und eine Ohrfeige. Noch jetzt, viele Jahre später, zuckt Sandra zusammen, wenn sie diese Erlebnisse schildert.
An der Universität setzen sich die Prüfungsschwierigkeiten fort. Das Austeilen der Prüfungsbögen, das Rascheln der Blätter beim Umdrehen, das Knirschen der Kugelschreiber von fleißig schreibenden Kommilitonen erinnern sie an früher, an ihr Versagen, ihre Unzulänglichkeit. Ihr Herz hämmert wie verrückt, die Hände zittern, am ganzen Körper bricht ihr der Schweiß aus. Ihre Gedanken an das Versagen und ihre Körperempfindungen drängen sich derart in den Fokus, dass Sandra kaum mehr zur Prüfung vordringen kann. So mit sich selbst beschäftigt gelingt es ihr schlichtweg nicht mehr, die Aufgabenstellungen in Ruhe zu lesen und einen Lösungsweg abzuleiten. Sandras Alerting- und Orientierungsnetzwerk laufen auf Hochtouren. Sie fühlt sich gestresst und angespannt. Ihr Fokus richtet sich unbewusst und blitzschnell auf ihre Körperempfindungen. Die kreisenden Gedanken, das pochende Herz, die zitternden Hände werden als störend empfunden. Kognitive Kapazität, um eine Rechenaufgabe zu lösen, ist kaum noch vorhanden.
Im Lerncoaching geht es auch darum, Sandra aus dem „Notfallmodus“ herauszuführen und sie trotz Angst wieder handlungsfähig zu machen. In einem ersten Schritt setzt sich Sandra mit ihren Ängsten auseinander. Die körperlichen Symptome stehen dabei im Zentrum. Gemeinsam mit dem Lerncoach erarbeitet Sandra, welchen Nutzen Ängste haben und welche körperlichen Reaktionen normal sind. Nach und nach gelingt es Sandra, ihre Körperempfindungen anders einzuordnen und sich davon nicht sofort verrückt machen zu lassen. Während sie früher oftmals dachte „Oh Gott, mein Herz rast wie verrückt. Ich falle gleich um!“, konnte sie sich nun sagen „Ja, du bist nervös, dein Herz klopft auch. Das ist o.k., das gehört dazu.“ Auch die blockierenden Gedanken wie „Was ist, wenn ich es nicht schaffe?!“ werden genauer unter die Lupe genommen. Angeleitet durch den Lerncoach beginnt Sandra, Überzeugungen, die ihre Ängste nähren, zu hinterfragen. Gleichzeitig lernt sie, freundlicher und ermutigender mit sich selbst umzugehen. Mit einer Reihe von Vorstellungsübungen wird schließlich die Bewältigung der Prüfungssituation trainiert. Mit zunehmender Übung merkt Sandra, wie ihre Ängste abnehmen. Es tritt ein Gewöhnungseffekt ein. Im Verlauf des Lerncoachings löst der Gedanke an die Prüfungssituation bereits deutlich weniger Nervosität aus. Sandra kann sich dadurch besser auf das Lernen konzentrieren und ihr Wissen in der Prüfung besser abrufen. Diese Kombination aus Entspannung, Neubewertung und Gewöhnung eignet sich dazu, die Aktivität des Alerting- und Orientierungsnetzwerks zu regulieren. Vereinfacht gesagt wird das Gehirn dabei unterstützt, die unbewusste Frage: „Was ist los?! Ist das gefährlich?!“ seltener zu stellen und wenn eine ruhestiftende Antwort bereit zu haben.
„Alles nach Plan!“ - Die Exekutive Kontrolle
Würden wir alle Eindrücke ungefiltert verarbeiten und darauf reagieren, wäre unser Gehirn völlig überlastet. Damit dies nicht geschieht, hat uns die Natur mit einem Netzwerk ausgestattet, das Prioritäten setzt und zwischen verschiedenen Hirnbereichen vermittelt. Das Netzwerk der exekutiven Kontrolle kommt nämlich immer dann zum Zug, wenn ein Reiz die Bewusstseinsschwelle übersteigt. Es hilft uns dabei, Ablenkendes bewusst auszublenden und die Aufmerksamkeit willentlich zu lenken. Dieses Aufmerksamkeitssystem ist zudem für das Kurzzeitgedächtnis, das Schmieden von Plänen, für Aufgabenwechsel und Flexibilität im Denken und Handeln verantwortlich.
(Hinweis für Fachpersonen: Die exekutive Kontrolle entwickelt sich stark von der Babyzeit über die Kindheit hinweg. So können Gedanken, Gefühle und das eigene Verhalten immer besser wahrgenommen und gesteuert werden. Kennzeichnend für dieses Netzwerk sind die Botenstoffe Dopamin und Serotonin. Zu den involvierten Hirnarealen gehören der anteriore cinguläre Cortex, der laterale präfrontale Kortex sowie die Basalganglien.)
Ramon* ist chaotisch
Ramon besucht die fünfte Klasse. Bereits im Kindergarten war er durch seine verträumte, chaotische Art aufgefallen. Lange Zeit bereitete es ihm große Schwierigkeiten, Handlungsabläufe zu lernen. Während sein jüngerer Bruder sich bereits selbstständig anziehen, waschen, kämmen und die Zähne putzen konnte, brauchte Ramon dafür die ständige Begleitung von Mutter oder Vater. Ließ man ihn damit alleine, saß er überfordert vor dem Berg von Kleidungsstücken oder spielte gedankenverloren mit dem Wasserhahn und der Zahnpastatube. Trotz der konsequenten Haltung der Eltern gleicht das Kinderzimmer innert kürzester Zeit wieder einem Schlachtfeld. Auch die Lehrpersonen melden zurück, dass Ramon Schwierigkeiten mit der Organisation hat. Er vergesse häufig die Hausaufgaben, verliere Schulbücher und Materialien und könne sich nur schwer an Abgabetermine halten. Auch bei relativ einfachen Aufgaben hat er Mühe, Prioritäten zu setzen und zu entscheiden, was er zuerst und was er später erledigen möchte. Oftmals fühlt er sich im Alltag „völlig erschlagen“ und zieht sich in seine Traumwelt zurück.
In der vierten Klasse wurde bei Ramon eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung vom unaufmerksamen Typ diagnostiziert. Die Forschung zeigt, dass diese Kinder besonders häufig mit Einschränkungen in der exekutiven Kontrolle zu kämpfen haben. Typischerweise gelingt es ihnen schlechter als Gleichaltrigen:
- Die Aufmerksamkeit bewusst zu steuern
- Unwichtiges auszublenden
- Informationen im Kurzzeitgedächtnis zu behalten
- Prioritäten zu setzen und Pläne zu schmieden
- Handlungsabsichten zu formulieren und Zwischenschritte abzuleiten
- Von einer Aufgabe zur nächsten zu wechseln
- Sich flexibel auf Planänderungen und Zusatzinformationen einzustellen
Die wissenschaftliche Forschung konnte nachweisen, dass Hirnbereiche und Netzwerke, die an der exekutiven Kontrolle beteiligt sind, bei Kindern mit ADHS in ihrer Entwicklung verzögert, weniger aktiv und schlechter durchblutet sind (für einen detaillierten Überblick siehe Rietzler & Grolimund, 2016).
Da es Ramon besonders schwer fällt, sich selbst Struktur zu geben, ist er auf ein Umfeld angewiesen, das ihn in diesem Bereich unterstützt. Hilfreich sind Maßnahmen, die die exekutive Kontrolle entlasten und gleichzeitig trainieren. In einem Elternratgeber haben Ramons Eltern unter anderem die folgenden Tipps erhalten:
- Reduzieren Sie Ablenkungen.
- Führen Sie Abläufe wie „Schulranzen packen“, „sich selbst anziehen“, „Zimmer aufräumen“ schrittweise ein und nutzen Sie Visualisierungen, z.B. bebilderte Checklisten.
- Bitten Sie Ihr Kind vor dem Einschlafen, sich wichtige Abläufe bildlich vorzustellen als würde es einen Film ansehen.
- Weisen Sie Aufgaben ein begrenztes Zeitbudget zu und stellen Sie dieses visuell dar, z.B. mittels Timetimer.
- Führen Sie einfache Organisationssysteme ein, z.B. verschiedene Rollkisten für Spielsachen und Schulmaterial oder ein Farbsystem für die verschiedenen Schulfächer.
- Helfen Sie Ihrem Kind, das Arbeitsgedächtnis zu entlasten, indem Aufgaben und Termine aufgeschrieben, abfotografiert bzw. ins Handy einprogrammiert werden.
- Planen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind und zerlegen Sie die Aufgaben in überschaubare Teilschritte.
- Kündigen Sie Aufgabenwechsel frühzeitig an („Du darfst noch 3 mal rutschen, dann gehen wir nach Hause“).
- Sorgen Sie für genügend stressfreie Erholungsräume.
Lässt sich Aufmerksamkeit trainieren?
Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass sich insbesondere das System der Exekutiven Kontrolle trainieren lässt. So scheinen bestimmte Formen der Meditation die exekutive Aufmerksamkeitsleistung zu verbessern und für eine optimalere Vernetzung der beteiligten Hirnbereiche zu sorgen (Tang et al. 2007, 2009). Offenbar wirken sich auch Übungen für das Arbeitsgedächtnis günstig aus (z.B. Klingberg et al., 2012; Olesen et al., 2004).
Im Alltag mit Kindern wird häufig auf Spiele zurückgegriffen, die das Arbeitsgedächtnis fördern sollen. Bei „Memory“ oder „der Plumpssack geht um“ üben Kinder beispielsweise, sich die Lage mehrerer Bildkarten einzuprägen und im richtigen Moment abzurufen. Zum konzentrierten Zuhören und Abspeichern von mündlich vorgegebenen Informationen eignen sich Spiele wie „Ich packe meinen Koffer“ oder „Simon sagt“. Bei Letzterem werden abwechselnd immer längere Aufgaben gestellt, z.B. „Berühre mit den Händen deine Zehen, dann gehe zur Tür und mache sie auf, dann hüpfe dreimal auf der Stelle.“ Diese Aufforderung darf aber nur ausgeführt werden, wenn der Satz mit „Simon sagt:“ begonnen wird. Für jede korrekt ausgeführte Spielfolge erhält der Spieler einen Punkt. Wird das Kommando ausgeführt, obwohl „Simon sagt“ fehlt oder wird es falsch umgesetzt, gibt es einen Minuspunkt. Nach jeder Runde werden die Rollen gewechselt. So gibt immer abwechselnd jemand die Kommandos und der andere / die Gruppe führt diese aus.
*Namen und sonstige Personendaten geändert
Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund, Psychologen und Autoren, Geschäftsführung der Akademie für Lerncoaching in Zürich
Ein spezieller Fall: Stimulanzienbehandlung bei drei Geschwistern mit ADD
Dr. med. Barbara Doll
Im Artikel wird der Fall dreier ADD-betroffener Geschwister mit gleichen klinischen Symptomen und unterschiedlichem Ansprechen auf Stimulanzien bei unterschiedlichem qEEG (quantitative Elektroenzephalografie) beschrieben. Das qEEG kann hilfreich sein bei der Wahl des richtigen Medikamentes.
Die drei Geschwister A (15-j. Gymnasiast), B (10-j. in 3. Kl.) und C (8-j. 2. Kl.) wurden gleichzeitig wegen Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten in einer kinderpsychiatrischen Praxis angemeldet. Alle drei waren in der Schule langsam und verträumt. Die eingehende kinderpsychiatrische Abklärung ergab bei allen dreien die Diagnose einer Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität (ADD). Das kognitive Potential, getestet mit dem WISC-IV, ergab bei allen einen gut durchschnittlichen Wert mit einem ähnlichen Profil, alle zeigten Schwächen im Arbeitsgedächtnis und in der Verarbeitungsgeschwindigkeit.
Wegen des hohen Leidensdrucks und der Schulschwierigkeiten wurde bei allen dreien ein medikamentöser Versuch mit Ritalin gestartet. Das Ansprechen auf dieses Medikament war, trotz ähnlicher klinischer Symptomatik, sehr unterschiedlich:
A: Nur leichte Verbesserung durch Ritalin v.a. zu Beginn. Bei 2 x 10mg reagiert er aggressiver, mit 2 x 7,5mg geht es etwas besser. Nach kürzerer Zeit ist aber keine Wirkung mehr spürbar.
B: Ritalin und Concerta wurden schlecht vertragen, starke Nebenwirkungen (kein Appetit, schwitzen, bleich) schon bei niedriger Dosierung. Lehrperson konnte im Schulunterricht keine Verbesserung der Konzentration feststellen, im Gegenteil, B wurde im Verhalten schwieriger (dominanter, aggressiver, beachtete keine Regeln mehr etc.). Deshalb Umstellung auf Dexamin 2 x 2,5mg. Unter dieser Behandlung zeigt sich eine deutliche Verbesserung, B. kann sich besser konzentrieren, dadurch besser lernen, er kommt rascher voran und erzielt gute Noten.
C: Spricht von Anfang an gut auf Ritalin an. Sowohl zu Hause als auch in der Schule deutlicher Unterschied ob mit oder ohne Medikament. Kann sich besser konzentrieren, sei rascher und mache besser mit.
Da bei allen drei Kindern eine Neurofeedbacktherapie geplant war, wurde vorgängig ein qEEG durchgeführt, um gezielter trainieren zu können. Trotz klinisch gleicher Symptomatik, zeigten sich in den Spektraldaten 3 verschiedene ADHD-Subtypen:
A zeigte frontale Midline-Theta-Rhythmen. Bei diesen neurobiologischen Konstellationen kann Methylphenidat in sehr geringer Dosierung helfen, meist aber nicht auf Dauer (Müller et al.).
B zeigte rechtsseitig exzessive Mu-Rhythmen. Müller et al. konnten diesen Subtyp von ADHD bei 16% der Betroffenen feststellen. Zur medikamentösen Behandlung wird Dexamphetamin empfohlen.
C zeigte eine generelle Unteraktivierung im Präfrontal- und Parietalkortex (Thetasubtyp). Zu diesem Subtyp gehören nach Müller et al. ca. 60% der Betroffenen. Sie sprechen in der Regel gut auf Methylphenidat an.
Fazit:
Das qEEG kann dabei helfen, die verschiedenen neurobiologischen Konstellationen zu unterscheiden. Diese drei Geschwister mit klinisch gleicher Symptomatik und testdiagnostisch ähnlichem Profil haben sehr unterschiedlich auf die medikamentöse Behandlung mit Methylphenidat reagiert. Im qEEG konnte in den Spektraldaten bei jedem Kind ein anderer Subtyp von ADHD festgestellt werden. Die Reaktionen auf die Stimulanzientherapie stimmten in diesem Fall überein mit der Beschreibung der im qEEG gefundenen ADHD-Subtypen und den entsprechenden Empfehlungen.
Ausführliche Informationen dazu können im Buch „ADHS Neurodiagnostik in der Praxis“ von Müller, Candrian und Kropotov, Springer Verlag, nachgelesen werden.
Dr. med. Barbara Doll, FMH für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
Hinweise auf Veranstaltungen
Felicitas Furrer Iseli
Veranstaltungen SFG
- Samstag, 16. September 2017, 09.00 – 15.15 Uhr, Campus Sursee, Sursee
5. Nationale ADHS-Tagung für Betroffene und Fachleute BeFa 2017
ADHS → Achtung! DU HAST STÄRKEN!
Organisation: elpos Schweiz und SFG ADHS
Weitere Informationen: www.befa-adhs.ch
Veranstaltungen Dritter: (vgl. http://www.sfg-adhs.ch/ Rubrik „Veranstaltungen Dritter“)
- Samstag, 10. Juni 2017, 09.30 – 13.15 Uhr, Vatter Business Center, Bern
Workshop mit Dipl. Psych., Dipl. Heilpäd. Cordula Neuhaus
Generationenübergreifende therapeutische Begleitung der ADHS-Familie
- Samstag, 17. Juni 2017, 09.15 – 17.15 Uhr,Universität Zürich Irchel
Tagung Verband Dyslexie Schweiz
Dyslexie, Dyskalkulie: Von Nachteilsausgleich bis Förderung
- Ab Samstag, 4. 11. 2017 – 22. September 2018, Coachingzentrum Olten
Zertifikatsausbildung zum ADHS-Coach, Institut für christl. Psychologie, Therapie und Pädagogik icp
ADHS-Coaching von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen
Regionale Angebote: vgl. www.sfg-adhs (Rubrik „Aus den Regionen+)
Felicitas Furrer Iseli, Geschäftsleiterin SFG ADHS