ADHS Aktuell

Editorial

Der zweite Newsletter 2022 ist dem Thema «Weiterentwicklung der IV» gewidmet, die am 1. Januar 2022 in Kraft trat. Die Gesetzesrevision bringt insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene Verbesserungen im Bereich der beruflichen Integration.

Dr. med. Detlev Blocher und Cornelia Siegel, IV-Stelle Kanton Bern, geben eine Übersicht über die neu eingeführten Massnahmen insbesondere für Menschen vom 13. bis zum 25. Lebensjahr und erwähnen auch weitere Neuerungen in der IV. Der Fokus liegt darauf, was unter ADHS-spezifischen Gesichtsunkten für alle Altersgruppen aus versicherungsmedizinischer Sicht zu beachten ist.

Den verschiedenen neuen Instrumenten, die seit der Gesetzesänderung zur Verfügung stehen und insbesondere eine frühe und individuell abgestimmte Begleitung im Übergang von der obligatorischen Schulzeit in eine Berufsausbildung ermöglichen, widmet sich Andrea Lampart, Berufsberaterin SVA Aargau. Sie berücksichtigt dabei insbesondere die Situation von Menschen mit ADHS und thematisiert die Voraussetzungen für eine Unterstützung durch die IV. Das neue Instrumentarium.

Unser Vorstandsmitglied Cecilia Stengård beschäftigt sich mit dem Therapeutenmanual Interaktives Skillstraining für Jugendliche mit Problemen der Gefühlsregulation und legt anschaulich dar, dass dieses Manualinsbesondere auch für die Therapiearbeit mit Jugendlichen mit ADHS wertvolle Impulse bietet.

Im letzten Newsletter stellte Isolde Schaffter-Wieland das neue Buch «EINE KINDHEIT MIT ADHS – Leben mit dem Aufmerksamkeitssyndrom» von Daniela Chirici, einer engagierten Mutter eines Sohnes mit ADHS, vor. Unser Mitglied Dr. Monika Brunsting hat ebenfalls eine Rezension verfasst, die wir Ihnen nicht vorenthalten wollen.

Zum Schluss finden Sie ein paar Veranstaltungshinweise.

Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre und grüssen Sie herzlich.

SFG ADHS, Felicitas Furrer, Geschäftsleiterin

 

Weiterentwicklung der Invalidenversicherung

Neuerungen für Jugendliche und Erwachsene mit ADHS unter besonderer Berücksichtigung versicherungsmedizinischer Aspekte
 

Dr. med. Detlev Blocher, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Teamleiter RAD, IV-Stelle Kanton Bern

Cornelia Siegel, Teamleiterin und stv. Bereichsleiterin Eingliederungsmanagement, IV-Stelle Kanton Bern

Am 01. Januar 2022 erfolgte eine erneute Revision im Bereich der Invalidenversicherung, die als Weiterentwicklung IV (WEIV) das Ziel verfolgt, Jugendliche und junge Erwachsene als auch Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen in der beruflichen Eingliederung noch besser zu unterstützten.

Gerade für junge Menschen in der Altersgruppe vom 13. bis zum 25. Lebensjahr wurden neue Massnahmen geschaffen, die eine erfolgreiche Ausbildung und den Einstieg ins Berufsleben unterstützen sollen.

Folgende Massnahmen stehen dabei im Vordergrund:

  • Ausweitung der Frühinterventionsmassnahmen
  • Integrationsmassnahmen auch für Jugendliche
  • Kostenbeteiligung der IV an kantonalen Brückenangeboten
  • Ausbau von Beratung und Begleitung

Frühinterventionsmassnahmen während der Abklärung des Leistungsanspruchs ermöglichen ein schnelles Unterstützen bei Einschränkung der Ausbildungsfähigkeit bzw. der Leistungsfähigkeit, auch wenn noch nicht geklärt ist, ob ein IV-relevanter Gesundheitsschaden vorliegt. Bislang waren Frühinterventionsmassnahmen für Jugendliche nicht möglich.

Integrationsmassnahmen sind neu auch für invalide oder von Invalidität bedrohte Jugendliche möglich. Diese niederschwellige Massnahme dient dem Training zum Aufbau und zur Stabilisierung der Präsenz und Leistungsfähigkeit in einem ausbildungsnahen Setting. Bei Jugendlichen muss dafür keine Arbeitsunfähigkeit ausgewiesen sein, es reicht die Vermutung einer drohenden Invalidität.

Damit die Berufswahl fundiert getroffen werden kann, wurde der Massnahmenkatalog ausgebaut, um besonders auch Jugendliche, die mehr Zeit für die Berufswahl brauchen, in diesem Prozess adäquat unterstützen zu können.

Zudem kann sich die IV nun mit 1/3 an den Kosten der kantonalen Brückenangebote beteiligen. Diese Kostenbeteiligung ermöglicht es den Anbietern, die verschiedenen Angebote auch für Jugendliche mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zugänglich zu machen. Diese können so z.B. durch zusätzliches Coaching, Nachhilfe, heilpädagogische Begleitung etc. gezielter unterstützt werden.

Wurde die Berufswahl getroffen, ist aber ein Einstieg in die Ausbildung noch nicht möglich, kann die Leistungs- und Ausbildungsfähigkeit mit einer gezielten Vorbereitung bis zum Ausbildungsbeginn auftrainiert werden.

Konform dem Motto unseres Direktors "Wir sind eine Eingliederungsversicherung!" wird bei den Massnahmen zur erstmaligen beruflichen Ausbildung die frühere Linie fortgesetzt, dass die Ausbildungen klar auf den ersten Arbeitsmarkt ausgerichtet sein sollen. Dies kann nur gelingen, wenn sich dafür Arbeitgeber finden. Der Mehraufwand, der sich bei Jugendlichen mit IV-relevantem Gesundheitsschaden durch die intensivere Betreuung ergibt, kann nun besser abgegolten werden. Alle Jugendlichen mit einem Ausbildungsvertrag erhalten ein Taggeld in Höhe des im Ausbildungsvertrag vereinbarten Lehrlingslohnes. Dieses wird (inklusive der Sozialversicherungsbeiträge) an den Arbeitgeber ausbezahlt, so dass diesem keine Lohnkosten entstehen. Zusätzlich sind weitere Unterstützungsmassnahmen wie z.B. Coaching, Nachhilfe, Lerntherapie möglich.

Am Massnahmenkatalog für Erwachsene mit psychischen Beeinträchtigungen ändert sich grundsätzlich nichts. Die Ausrichtung auf den ersten Arbeitsmarkt bleibt auch hier zentral. Neu ist der Anspruch auf Beratung und Begleitung bis drei Jahre nach Abschluss von Eingliederungsmassnahmen. Dieser soll sicherstellen, dass die versicherte Person und deren Arbeitgeber bei auftretenden Problemen schnell unbürokratisch Unterstützung bekommen.

Verdeutlicht werden können die oben beschriebenen Massnahmen für junge Erwachsene durch die nachfolgend aufgeführte Grafik.

 

 

Unter ADHS-spezifischen Gesichtspunkten ergeben sich für alle Altersgruppen aus versicherungsmedizinischer Sicht die nachfolgenden Anmerkungen.

Relevant ist neben der Darlegung der diagnostischen Einschätzung eines ADHS auch die Beschäftigung mit allfälligen komorbiden psychischen Problembereichen. Zwar haben über 40% der Patientinnen und Patienten mit einem ADHS keine komorbide Störung, dennoch sind es gerade diese komorbiden Auffälligkeiten, die im Eingliederungsprozess für Probleme sorgen. Hier empfiehlt es sich, eventuelle bzw. oft gut mit dem ADHS in Verbindung zu bringende Auffälligkeiten wie eine Affektlabilität, eine Beeinträchtigung der Affektkontrolle oder auch die bekannten Persönlichkeits- und Verhaltensauffälligkeiten klar zu beschreiben und nicht unbedingt eigenständig diagnostisch zu fassen. Gerade bei der Darlegung der ADHS-bedingten Persönlichkeitsfehlentwicklung ist eine umfangreiche Dokumentation und Beschreibung für den Eingliederungsverlauf sehr hilfreich. Dies deshalb, da es zu beurteilen gilt, ob man es mit einem reinen Leistungsversagen aufgrund der Core-Symptomatik zu tun hat oder ob dieses Leistungsversagen mit Charakterproblemen assoziiert ist. Denn mehr als die Hälfte aller psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeiten werden durch Arbeitsplatzkonflikte ausgelöst. Dies fordert auf, frühzeitig den Kontakt mit der IV aufzunehmen. Aber auch der Eingliederungserfolg wird weniger durch die primären Auswirkungen der psychischen Störung bestimmt, sondern vielmehr durch spezifische Persönlichkeits- und Verhaltensauffälligkeiten. Daher sollte also auf typische Problemkonstellationen in der bisherigen Schul-, Ausbildungs- und / oder Arbeitsbiographie fokussiert werden. Dabei spielen neben den vorrangig als schwierig bewerteten Eigenschaften einer ängstlich-vermeidenden und selbstunsicheren Wesensart vor allem emotional instabile und impulsive Muster eine Rolle. Hier kann klar vermutet werden, dass dies zu einem Grossteil Ausdruck einer ADHS-Problematik ist. Mit diesen Angaben kann dann besser beurteilt werden, ob die Auswirkungen allfälliger komorbider Probleme den versicherten Personen sonst vorhandene Ressourcen rauben. Sodann kann dargelegt werden, in welcher Form diese Persönlichkeitsproblematik in den bisherigen und zukünftigen therapeutischen Prozess integriert war bzw. ist. Unabhängig davon können Eingliederungsmassnahmen bei Personen mit einem ADHS nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn eine kontinuierliche psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung incl. einer Psychopharmakotherapie, sofern angezeigt und umsetzbar, gewährleistet wird.

Empfehlenswert ist, bei den Anträgen an die IV in Bezug auf die berufliche Eingliederung keine spezifischen Massnahmen darzulegen, z. B. in Form einer Umschulung oder einer klaren Festlegung auf eine berufliche Schiene. Dies führt meist zur Ausbildung einer Anspruchshaltung, die sich dann bei einer näheren Abklärung des Falls eventuell auch aus rechtlichen Gründen nicht umsetzen lässt. Sinnvoller ist es, genau darzulegen, wo bei der versicherten Person die Stärken und Schwächen in Bezug auf die Störung, also hier das AHDS, zu verorten sind. Meist geht es beim Thema ADHS nicht um eine vollständige Aufhebung der Leistungsparameter, sondern um eine bedeutsame Einschränkung auf der qualitativen Ebene. So kann dargelegt werden, unter welchen Bedingungen die bereits etablierten Bewältigungsmechanismen noch funktionieren und wann die versicherte Person Mühe bekundete, mit den beruflichen als auch den privaten Anforderungen zurecht zu kommen. Wichtig ist auch zu beschreiben, was der versicherten Person zugemutet werden kann, z. B. in Bezug auf Arbeitszeiten, Intensität von Sozialkontakten, Komplexität der Arbeit etc.

Dies führt zuletzt zur Empfehlung, bei einer erst im Erwachsenenalter nach langjähriger weitgehend regelhafter Erwerbsbiographie diagnostizierten ADHS-Problematik diese besonders umfangreich und klar darzulegen.

Letztlich traten mit der aktuellen Weiterentwicklung auch in anderen Bereichen Veränderungen ein. So wurden im Zusammenhang mit den medizinischen Begutachtungen Massnahmen zur Qualitätssicherung und Transparenz getroffen. Erreicht werden soll dies dadurch, dass bei Begutachtungen eine Tonbandaufnahme mitläuft und zu den Akten genommen wird. Ausserdem müssen von Seiten der IV-Stellen umfangreichere Angaben zu den mit den Begutachtungen betrauten Gutachtern publiziert werden.

Ferner kam es zur Einführung eines sogenannten stufenlosen Rentensystems. Wurden früher die Rente in Abhängigkeit des IV-Grades einer von vier möglichen Rentenstufen zugeordnet, so erfolgt dies jetzt weitgehend kongruent mit dem ermittelten IV-Grad. Aufgrund der notwendigen Übergangsbestimmungen werden beide Systeme noch eine Weile nebeneinander zur Anwendung kommen.

Zu einer Veränderung kam es auch bei der Verordnung über Geburtsgebrechen. Die bei ADHS vorrangig verwendete Ziffer 404 "Angeborene Störungen des Verhaltens bei Kindern ohne Intelligenzminderung mit kumulativem Nachweis von Störungen des Verhaltens, des Antriebs, des Erfassens, der Konzentrations- und/oder der Merkfähigkeit" erfuhr eine gewisse Präzisierung, wobei jedoch keine inhaltliche Änderung stattfand. Weiterhin relevant ist die Diagnosestellung vor Vollendung des 9. Lebensjahrs.

Weiterhin werden bei anerkannten Geburtsgebrechen die Kosten für die Arzneimittel durch die IV übernommen. Mit der neu geschaffenen Geburtsgebrechen-Spezialitätenliste (GG-SL) ändert sich jedoch nichts in Bezug auf die Behandlung bei Personen mit ADHS.

Weiterführende Literatur:

Baer, N., Frick, U., Fasel, T. (2009). Dossieranalyse der Invalidisierungen aus psychischen Gründen. Typologie der Personen, ihrer Erkrankungen, Belastungen und Berentungsverläufe. Bundesamt für Sozialversicherungen, Bern.

Weiterentwicklung der IV – Erweitertes Instrumentarium für Jugendliche und junge Erwachsene im Rahmen der Berufsbildung unter besonderer Berücksichtigung von ADHS

Andrea Lampart, Berufsberaterin, SVA Aargau, Invalidenversicherung

Die Weiterentwicklung des IV-Gesetzes, welche am 01.01.2022 in Kraft trat, hat unter anderem zum Ziel, junge Menschen mit speziellen Bedürfnissen noch adäquater zu unterstützen und eine möglichst nachhaltige berufliche Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt zu erreichen.

Daher wurden verschiedene neue Instrumente geschaffen, die eine frühe und sehr auf die individuelle Situation einer jungen Person abgestimmte Begleitung im Übergang von der obligatorischen Schulzeit in eine Berufsausbildung erlauben.

Meldung und Frühinterventionsmassnahmen

Neu können bereits Jugendliche ab 13 Jahren mit individuellen Leistungen von der IV unterstützt werden. Ihre Eltern, Lehrpersonen oder Ausbildungsverantwortlichen werden als wichtige Schlüsselpersonen eng in die Planung von Begleitmassnahmen einbezogen und beraten.

Frühzeitiges Handeln kann oftmals verhindern, dass sich eine belastende Situation verschlimmert, und sich weitere negative Auswirkungen auf die Gesundheit zeigen.

Ist man als Eltern unsicher, ob eine IV-Anmeldung zielführend und gerechtfertigt ist, kann eine sogenannte «Meldung» gemacht werden. Diese ist im Vergleich zur Anmeldung niederschwelliger und entspricht rechtlich nicht einem offiziellen Gesuch um Unterstützung. Die IV klärt nach dem Eingang einer Meldung in einem telefonischen oder persönlichen Gespräch, ob eine IV-Anmeldung zu empfehlen ist oder ob eine andere Anlaufstelle in der aktuellen Situation besser Hand bieten kann.

Sobald eine IV-Anmeldung eingereicht worden ist, können zeitnah, noch vor der offiziellen Anspruchsprüfung, erste Unterstützungsleistungen – sogenannte Frühinterventionsmassnahmen – finanziert werden, sofern solche unmittelbar notwendig sind. Während der obligatorischen Schulzeit kann das ein Coaching zur Lehrstellensuche oder eine spezialisierte Berufsberatung sein, nach dem Abschluss der obligatorischen Schulzeit sind auch weitere Angebote wie z. B. ein Aufbautraining oder ein Kurs möglich.

Vorbereitungsmassnahmen

Bisher waren öfters Ausbildungsabbrüche zu beobachten, weil keine genügend umfassenden Vorbereitungsmassnahmen zur Verfügung standen und Personen mit ADHS zu jung eine berufliche Ausbildung beginnen mussten. Die Berufswahl kam zu früh – Kompetenzen, welche in einem «Erwachsenen»-Umfeld gefordert sind, konnten noch nicht eingeübt werden. Viele Personen mit einem ausgeprägten ADHS sind mit 15 oder 16 Jahren noch nicht in der Lage, eine berufliche Ausbildung erfolgsversprechend in Angriff zu nehmen. Das Ergebnis: Unzufriedenheit, wenig Motivation für die Ausbildung, viele Überforderungs- und Konfliktsituationen, und schliesslich nicht selten ein Ausbildungsabbruch.

Dank neu geschaffenen Unterstützungsmöglichkeiten kann die IV Jugendliche und junge Erwachsene, die länger Zeit benötigen, um sich in einem Arbeits- oder Ausbildungsumfeld zurecht zu finden, mit passenden Programmen oder im Rahmen von Praktika begleiten. Der Fokus liegt dabei, wenn immer möglich, auf dem ersten Arbeitsmarkt, so dass ein frühzeitiger Kontakt mit den realen Arbeitsbedingungen stattfindet.

Aufbautraining. Fällt es jungen Menschen aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen schwer, ein übliches Tagespensum zu bewältigen, kann die IV bis zu einem Jahr mit einem Aufbau- und Arbeitstraining unterstützen. Dabei steht der Aufbau der Präsenz- und Leistungsfähigkeit im Zentrum. Dazu gehört ein schrittweiser Aufbau des Pensums, aber auch die Förderung von Selbst-, Methoden- und Sozialkompetenzen wie etwa Selbständigkeit, Zuverlässigkeit, Kritikfähigkeit, Selbstorganisation und Teamfähigkeit.

Vorbereitungsmassnahmen in der Berufsberatung. Benötigt eine junge gesundheitlich eingeschränkte Person eine längere und gut strukturierte Explorationsphase in Bezug auf die Berufswahl, bestehen speziell geschaffene Programme, in welchen der Berufsberatungsprozess, Schnuppereinsätze, kleine Praktika sowie Strukturierungshilfen (z. B. via regelmässige Coachings) eingebettet sind. Diese Phase kann bis zu einem Jahr unterstützt werden. Damit erhalten junge Menschen die Möglichkeit, ihrem Tempo entsprechend und mit der individuell notwendigen Unterstützung eine solide und gut abgestützte Berufswahl zu treffen.  Ausbildungserfolg kann so zwar nicht garantiert, die Erfolgswahrscheinlichkeit aber doch erheblich verbessert werden.

Gezielte Vorbereitung vor einer Ausbildung. Ist die Berufswahl getroffen, die oder der angehende Lernende aber behinderungsbedingt noch nicht direkt bereit, eine Ausbildung zu beginnen, können mit Hilfe einer gezielten Vorbereitung die Voraussetzungen für einen gelungenen Ausbildungseinstieg geschaffen werden. Eine solche Vorbereitungszeit findet in der Regel als begleitetes Praktikum im gewählten Berufsfeld, oftmals sogar im zukünftigen Lehrbetrieb statt. Je nach Bedarf können auch schulische Elemente (z. B. Repetition relevanter Schulfächer) Teil dieser Massnahme sein.

Mit diesen Angeboten ist ein schrittweises Herantasten an eine erstmalige berufliche Ausbildung und das Lernen von wichtigen Kompetenzen möglich. Welche Massnahme in der konkreten Situation geeignet ist und welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen entscheidet die zuständige Eingliederungsfachperson aufgrund von Erfahrungswerten sowie Informationen der betroffenen Person und ihrem Umfeld (Eltern, Therapeuten, Lehrer etc.). Bei jedem Störungsbild sind spezifische Punkte zu beachten.

Beispiele von wichtigen Erkenntnissen aus der Eingliederungsarbeit:

  • Bei Personen mit ADHS hängt der Ausbildungserfolg überproportional stark von Beziehungen im Arbeits- und Schulumfeld ab: Verstehe ich mich gut mit meiner Chefin, meinem Lehrer, meinem Coach etc.?
  • Die Einbindung in eine regelmässige psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung bei einer Fachperson mit guten ADHS-Kenntnissen verbessert die Erfolgsaussichten. Schwierige Situationen können rascher und mit weniger Aufwand bewältigt werden.
  • Bestehen bei einer Person mit ADHS spezielle Interessen («Hyperfokus»), ist zu prüfen, ob sich diese in eine realistisch umsetzbare Ausbildung einbetten lassen – damit kann das Potenzial der betreffenden Person eher ausgeschöpft werden und die Motivation bleibt länger hoch. Jedoch ist nicht jedes Spezialinteresse in einer Ausbildung zu finden!
  • Häufige Stolpersteine in der Ausbildung: Drogenkonsum als Selbstmedikation (insbesondere Cannabis), ein mit der Ausbildung nicht kompatibler Schlaf-Wach-Rhythmus, grosse Schwierigkeiten in der Selbstorganisation (Planung der Hausaufgaben, Strukturierung der praktischen Arbeiten, Koordination von Terminen, häufiges Zuspätkommen).

Voraussetzungen für IV-Unterstützung

Doch welche Voraussetzungen muss eine Person mitbringen, um von der IV in einem umfassenderen Mass unterstützt zu werden?

  • Es liegt eine fachärztlich gestellte Diagnose in Form eines Arztberichts vor, die relevante Auswirkungen auf die Berufswahl oder die Ausbildung hat, und
  • Die betroffene Person ist bereit, aktiv mit den Eingliederungsfachpersonen der IV und den Ausbildungsverantwortlichen zusammen zu arbeiten, und sich auf verschiedene Erfahrungen einzulassen. Die IV kann junge Menschen nicht unterstützen, wenn keinerlei Motivation für eine Mitarbeit vorhanden ist.

 

Bei Fragen können sich Betroffene oder Personen ihres Umfeldes an die IV-Stelle des Wohnkantons wenden.

Buchbesprechung

Interaktives Skillstraining für Jugendliche mit Problemen der Gefühlsregulation (DBT-A): Das Therapeutenmanual

Anne Kristin von Auer, Martin Bohus, Schattauer 2017

  

Cecilia Stengard, dipl. psych, Fachpsychologin für Psychotherapie, Vorstandsmitglied der SFG ADHS

Trend: Transdiagnostische Forschungs- und Behandlungsmethoden

Zunehmend wird über transdiagnostische Forschungs- und Behandlungsmethoden diskutiert vgl. z.B. https://www.nimh.nih.gov/research/research-funded-by-nimh/rdoc/about-rdoc

Hier geht der Fokus weg von festgelegten Behandlungsmethoden für einzelne Störungsbilder hin zu Ansätzen die störungsübergreifend eingesetzt werden können. Das Therapiemanual unten ist zwar ursprünglich für Borderline Patienten*Patientinnen entwickelt worden. Im Kern geht es aber um Emotionsregulation und könnte auch in anderen Zusammenhängen, wie z.B. bei ADHS, eingesetzt werden.

Starke Gefühlsschwankungen, (emotionelle) Impulsivität und hohe emotionale Anspannung bis zu Gefühlsausbrüchen sind bekanntlich für viele Betroffene mit ADHS im Alltag eine grosse Herausforderung. Daher ist die Emotionsregulation in der psychotherapeutischen Behandlung sowohl bei Kindern und Jugendlichen als auch Erwachsenen mit ADHS oft ein wichtiger Bestandteil.

Besprechung Manual:

Das Manual basiert auf erprobten Methoden der dialektisch Behavioralen Therapie für Erwachsene (DBT-A) basierend auf der Arbeit von Marsha M. Linehan.

Sprache und Layout der Arbeits- und Übungsblätter sind an Jugendliche angepasst.

Das Manual ist in verschiedene Module eingeteilt:

  • Achtsamkeit
  • Stresstoleranz
  • Umgang mit Gefühlen (Emotionsregulation)
  • zwischenmenschliche Skills
  • Selbstwert
  • den Mittelweg finden
  • Umgang mit Rauschmitteln

Alles Themen, die sicherlich auch bei ADHS immer wieder wichtig sein könnten. Manche Interventionen könnten auch bei anderen Patientengruppen verwendet werden. So könnte beispielsweise die sehr verständliche Beschreibung von verschiedenen Emotionen im Kapitel «Umgang mit Gefühlen» bei manchen Patienten*Patientinnen mit ASS zum Einsatz kommen.

Jedes Modul wird mit einem Theorieteil eingeleitet. Dann folgen die Informations- und Übungsblätter für die Jugendlichen. Diese kann man mit einem Keycode im Internet freischalten und ausdrucken. Auch die Jugendlichen können Online-Zugang zu diesem und weiterem Informationsmaterial zum Selbststudium erhalten. Die Benennung der einzelnen Dateien ist etwas unübersichtlich, so lohnt es sich die Listen mit Dateinamen auszudrucken, um die einzelnen Blätter einfacher zu finden.

In Familien mit ADHS Betroffenen sind häufig die Kommunikationsmuster sehr emotional und impulsiv beladen. Das neu konzipierte Kapitel «den Mittelweg finden» kann daher hilfreich sein. In diesem Teil des Manuals werden die Eltern intensiver miteinbezogen. Das Ziel ist die gegenseitige Akzeptanz zu stärken. Es sollen Kompetenzen zur Selbststeuerung vermittelt werden. Die Familienmitglieder werden Wege, wie Veränderung schaffen, gezeigt und Informationen zu Verstärkerprinzipen vermittelt.

Wichtig für viele ADHS Betroffene ist sicherlich das ebenfalls neu konzipierte Kapitel über «Umgang mit Rauschmitteln». Eingangs wird eruiert, ob überhaupt ein schädlicher Konsum resp. eine Abhängigkeit besteht. Im Modul zum Rauschmittel wird die Metapher «Surfing» verwendet. Die Jugendlichen werden angeleitet sich ein stabiles Surfbrett (Skills) zu gestalten, welches sie über die Craving-Wellen trägt. Sie lernen Warnzeichen zu erkennen. «Die drei Köpfe» der Sucht werden vorgestellt, schliesslich wird die Rückfallprophylaxe eingeführt.

Zusammengefasst ist das Manual eine Schatztruhe mit vielen durchdachten und zudem erprobten Interventionen, die störungsübergreifend auch bei Jugendlichen mit ADHS oder anderen Patientengruppen mit Schwierigkeiten bei der Emotionsregulation zum Einsatz kommen können. Didaktisch ist es den Autoren*Autorinnen gelungen auch für Therapeuten*Therapeutinnen mit weniger Erfahrung gute theoretische Hintergründe, aber auch konkrete Hinweise, worauf bei der Umsetzung zu achten ist, zu vermitteln.

 

EINE KINDHEIT MIT ADHS – Leben mit dem Aufmerksamkeitssyndrom

Daniela Chirici, hogrefe, Fr. 28.90

 

In Ergänzung zur Buchbesprechung von Isolde Schaffter-Wieland, die im letzten Newsletter abgedruckt war, folgt die Rezension für den Verlag von:

Dr. phil. Monika Brunsting, Fachpsychologin für Psychotherapie, Sonderpädagogin

Während 10 Jahren beschrieb Daniela Chirici das Leben mit ihrem Sohn Killian sehr eindrücklich in der «elpost» (Zeitschrift der Elternvereinigung für Kinder mit POS). Wir erfahren, welches Killians Sorgen und Nöte, die seiner Familie und auch die seiner Schulen waren. Es ist eine berührende Lektüre, bei der man mehr erfahren kann als bei der Lektüre vieler theoretischer Bücher.

Killians Psychotherapeut Roland Abegglen und Verena Leu, die frühere Redakteurin der «elpost», geben in ihrem Geleitwort und in ihrem eigenen Kapitel wichtige fachliche Informationen weiter. «Psychotherapie kann keine Wunder bewirken, aber sie ist oft in der Lage, wichtige Impulse zu liefern, um Menschen dabei zu unterstützen, resilienter zu werden. ….auch Killian hat schrittweise gelernt, seine Emotionen zu bändigen und sein impulsives Sozialverhalten besser zu bremsen», meint Killians Psychotherapeut (S. 78), der auch gleich die angewandte Therapiemethode (kognitive Verhaltenstherapie) sehr anschaulich beschreibt.

Wer noch nicht viel weiss über ADHS, weiss nach der Lektüre nicht nur mehr, sondern kann auch emotional verstehen, wie es sich anfühlt auf diesem Weg als betroffener oder als begleitender Mensch unterwegs zu sein. Wer schon viel weiss, wird beeindruckt sein durch die Lebendigkeit und die Emotionalität, die sich hinter dem Wissen verbirgt. Wer noch nicht viel weiss, wird mehr wissen und besser verstehen.

Gerne empfehle ich Eltern und Fachpersonen das schlanke Büchlein mit den vielen berührenden Texten und den Fotos aus dem Familienalbum. Wer immer mit betroffenen Kindern lebt oder arbeitet, kann damit den Alltag besser verstehen und meistern.

 

Veranstaltungshinweise

  • Veranstaltung der SFG ADHS
    Voranzeige: 9. März 2023, 14.00 - ca. 16.30 Uhr, Tagung mit anschliessender Mitgliederversammlung in Bern zum Thema «Transition» (Übergang vom Jugendlichen- ins Erwachsenenalter). Die SFG ADHS freut sich, dass sie für diesen Anlass zwei ausgewiesene Experten gewinnen konnte, den international bekannten Prof. Dr. Swaranpreet Singh, Universität Warwick, UK, sowie Dr. med. Stephan Kupferschmid, Chefarzt Adoleszentenpsychiatrie, Integrierte Psychiatrie Winterthur – Zürcher Unterland.

    Auch Nichtmitglieder sind herzlich willkommen.
    Weitere Informationen werden Sie zu gegebener Zeit auf unserer Website www.sfg-adhs.ch finden.
  • Veranstaltungen Dritter
    • Berner Arbeitsgruppe ADHS, 10. November 2022, 16:00 - 17:30 Uhr, Bern
      ADHS und mediale Süchte
    • AG ADHS, 23. - 26. März 2023, Hamburg, Internationaler Fachkongress ADHS – weiblich

Weitere Informationen zu den Veranstaltungen finden Sie auf der Website der SFG ADHS www.sfg-adhs.ch