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ADHS Aktuell

 
Editorial
 

Beim letzten Newsletter 2020 steht eine häufige Begleiterkrankung der ADHS im Zentrum, die Depression.

Dr. med. Astrid Neuy-Lobkowicz geht der Frage nach, weshalb sich bei einer ADHS so auffallend oft Begleiterkrankungen wie beispielsweise die Depression manifestieren. Dabei weist sie auf die Gefahr und die Folgen hin, nur die Komorbidität zu therapieren. Wie wichtig und auch dankbar es stattdessen ist, eine ADHS zu erkennen und zu behandeln, schreibt die Autorin eindrücklich am Schluss ihres Textes.

Um Ähnlichkeiten und Unterschiede der ADHS und der Dysphorie sowie der Depression dreht sich der Artikel «Depression und Dysphorie bei ADHS» von Ulrich und Kirsten Brennecke. Sie zeigen auf, dass sich hinter einer behandlungsresistenten Depression häufig eine unerkannte ADHS verbirgt.  

«Lotte, träumst Du schon wieder?». So lautet das neueste Sachbuch von Fabian Grolimund & Stefanie Rietzler. Dass dieser Bestseller für alle Menschen, die mit Kindern zu tun haben, eine Pflichtlektüre sein sollte und sehr lesenswert ist, begründen die beiden begeisterten SFG-Mitglieder Ursula Amman und Monika Brunsting in ihren Rezensionen.

Zum Schluss finden Sie einen Hinweis auf die SFG-Mitgliedertagung 2021.

Leider fällt der Beitrag zu «ADHS analog» diesmal aus, da unsere geschätzte Autorin Ursula Ammann verletzungsbedingt buchstäblich nicht in die Tasten greifen konnte. Wir wünschen ihr auf diesem Weg von Herzen gute Besserung.

Im Namen des SFG-Vorstands wünschen wir Ihnen und Ihren Familien frohe Festtage und alles Gute für das neue Jahr. Bleiben Sie gesund.

 

Herzliche Grüsse,
 

Isolde Schaffter-Wieland und Felicitas Furrer

 

AADHS und Depression

Dr. med. Astrid Neuy-Lobkowicz

 

Einführung

Psychische Erkrankungen sind bei ADHS deutlich häufiger als in der Allgemeinbevölkerung. Dies gilt insbesondere für Angsterkrankungen und Depressionen. Über 80 % der erwachsenen ADHS-Betroffenen leiden an einer seelischen Begleiterkrankung, 60 % sogar an mehreren. ADHS ist somit ein Risiko für die Entwicklung aller weiteren seelischen Erkrankungen. Dabei steigt das Risiko für die Entwicklung einer Depression sogar mit dem Alter an. Es werden bis zu zehn Mal häufiger Depressionen bei ADHS-Betroffenen beobachtet.

 

Warum hat ADHS eine so auffallend hohe Häufigkeit an Begleiterkrankungen?

Sicherlich gibt es hier auch eine genetische Komponente und es wurden erbliche Gemeinsamkeiten zwischen ADHS, Depression, manisch-depressiver Erkrankung, Migräne und Autismus gefunden. Die genauen Zusammenhänge sind jedoch aktuell noch unklar.

Was wir aber sehr genau wissen ist, dass ADHS Betroffene schon von Kindheit an, bedingt durch ihre ADHS-Symptome, häufiger Erfahrungen von Misserfolgen, Niederlagen und Ablehnung durch andere erfahren. Auch Kinder mit ADHS strengen sich an. Sie wollen aufmerksam und in der Schule erfolgreich sein. Sie erleben aber täglich, dass sie unruhig und getrieben sind, nicht stillsitzen können und schon wieder etwas gesagt haben, dass sie besser für sich behalten hätten. Sie nehmen sich nicht vor, ihre Mitmenschen zu ärgern, aber ihre angeborene Störung der Gefühlskontrolle führt immer wieder dazu, dass sie emotional entgleisen, die Kontrolle verlieren und andere verletzen. So rutschen sie zunehmend ins soziale Abseits und verstehen dies überhaupt nicht.

Was wir alle brauchen – ganz besonders junge Menschen auf dem Weg ins Erwachsenenalter – ist die Erfahrung, erfolgreich zu sein und Schwierigkeiten bewältigen zu können. Es reicht leider nicht aus, dass Eltern ihren Kindern ihre Liebe zeigen und sie darin bestätigen, erfolgreiche und wichtige Menschen zu sein. Für die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls braucht der Mensch selbst erarbeitete Erfolge. Diese machen glücklich und zementieren mit der Zeit ein gutes Selbstwertgefühl. „Ich kann mich auf mich verlassen“, „ich bin in der Lage, Schwierigkeiten zu bewältigen“, „ich kann etwas leisten“, das sind wichtige Erfahrungen, die jeder Mensch braucht, um sich selbst annehmen und wertschätzen zu können.   

 

Fehlen Erfolgserlebnisse, sinkt der Selbstwert

Wenn ich mir etwas vornehme und es mir zudem gelingt, mein gestecktes Ziel zu erreichen, dann schaffe ich mir damit einen Punkt auf meinem Erfolgskonto. Wenn ich viele Erfolgspunkte habe, kann ich stolz auf mich sein – das macht mich glücklich und widerstandsfähig gegenüber Kritik und den unausweichlichen, kleinen Misserfolgen des Lebens. Ich schaffe mir damit aber auch Punkte auf meinem Selbstwertkonto. Je mehr Punkte ich mir mit der gelingenden Bewältigung von Aufgaben erarbeitet habe, desto stabiler und besser ist mein Selbstwertgefühl und desto glücklicher und zufriedener bin ich mit meinem Leben.

Die unaufmerksamen ADHS-Betroffenen – besonders die Frauen – haben viel zu wenige Erfolgserlebnisse, weil sie sich häufig nicht durchkämpfen und durchsetzen können. Es fällt ihnen schwer, die Disziplin und Beharrlichkeit zu entwickeln, die sie bräuchten, um ihre Ziele zu erreichen. Sie nehmen sich etwas vor – und scheitern. Solche Erfahrungen bewirken Negativ-Punkte auf dem Erfolgskonto und Misserfolge machen unglücklich. Die negativen Punkte auf dem Selbstwertkonto wiederum schaffen Selbstzweifel bis hin zum Selbsthass. Die Folge: Resignation, Frustration und Mutlosigkeit. Solche Erfahrungen nähren die Depression.

Oft wird von Therapeuten nicht erkannt, dass ADHS-Betroffenen mit starken Selbstzweifeln sich ihre Unfähigkeit und ihr Versagen nicht einbilden: Misserfolge sind Realerfahrungen in ihrem Leben. Es wirkt deshalb nicht unterstützend, diese Misserfolge in der Therapie als „zu ehrgeizig" oder „zu hochgesteckte Ziele“ umzudeuten und das Scheitern kleinzureden. Wirkliche Hilfe für ADHS-Betroffene ist: Sie zum Erfolg zu befähigen. Sie brauchen die Erfahrung von Selbstwirksamkeit im Sinne von: "Ich schaffe das“ und „ich stelle mich den Herausforderungen und bewältige meine Schwierigkeiten“.

 

Die Gefahr, nur die Begleiterkrankung zu therapieren

Psychotherapien können bei ADHS über lange Jahre wirkungslos bleiben und sogar schädlich sein. Wenn zum Beispiel ADHS-Betroffene in der Psychotherapie ihre Kindheit bearbeiten, ihr inneres Kind wachsen lassen, Selbstoptimierungs-Strategien erlernen und trotzdem keinen Erfolg im Beruf haben, dann verstärkt dies ihre Depression. Sie wollen ihr Leben in den Griff bekommen, stolz auf sich sein können, erleben sich jedoch immer wieder als unfähig und ungenügend. Sie finden in einer solchen Therapie keine Erklärung dafür, weshalb es ihnen so schwerfällt, aufmerksam zu sein, sich selbst zu organisieren und Aufgaben rechtzeitig anzufangen und zu Ende zu bringen. Sie finden keine Ursache in ihrer Kindheit, die erklärt, warum sie so dünnhäutig, ablenkbar, empfindlich und verletzbar sind und weshalb sie immer wieder überreagieren. Sie erfahren nicht, dass die Ursache ihrer Erschöpfung und ihres chronischen Versagens neurobiologisch und genetisch bedingt ist – ADHS heisst – und erfolgreich behandelt werden kann.

Oft werden auch nur die Begleiterkrankungen diagnostiziert und die zugrunde liegende ADHS gar nicht erkannt. Damit werden wichtige Therapieoptionen verschenkt. So mancher (ADHS-unerfahrene) Psychotherapeut lässt sich dann nach der hundertsten Stunde Psychotherapie eher dazu hinreissen, solche Patienten als therapieresistent abzustempeln, statt die eigene Diagnose in Frage zu stellen. 

Ein wirklicher Durchbruch in der Behandlung der Betroffenen zeigt sich oft erst, wenn die Diagnose ADHS gestellt wird.  Erst dann können sie verstehen, dass sie nicht unfähig und dumm sind, sondern eine „erbliche Sonderedition“ darstellen, eine besondere Art zu sein haben. Es ist eindrucksvoll, wie beglückend es für ADHS-Betroffene ist, wenn sie endlich die Erfahrung machen, dass sich der Nebel um sie herum auflöst und sie handlungsfähig und erfolgreich werden. Sie erleben diesen Moment meistens wie ein Wunder, an das sie gar nicht mehr glaubten. Oft entdecken sie erst unterstützt durch eine Medikation, welches Potenzial an Kreativität, Spontaneität und Flexibilität in ihnen steckt und wie sie dieses auch für sich nutzen können.

 

ADHS ist das dankbarste Krankheitsbild in der Psychiatrie

Leider bleiben viele Betroffene häufig bis ins mittlere Erwachsenenalter unerkannt, vermutlich die meisten sogar ein Leben lang. In einer erst 2019 veröffentlichen Studie der Deutschen Krankenkassen wurde deutlich, dass nur 0,2 % der Erwachsenen in Deutschland als ADHS-betroffen diagnostiziert sind. Wir wissen aber, dass etwa 3,5 bis 4 % der Gesamtbevölkerung von ADHS betroffen sind. Das bedeutet, dass aktuell nur jeder zwanzigste ADHS-Patient richtig diagnostiziert und behandelt wird. In einer Fachpraxis sind mindestens 20 % der Patienten ADHS-Betroffene. Sie bekommen jedoch andere Diagnosen und keine störungsspezifische Behandlung.

Viele depressive Entwicklungen könnten vermieden werden, wenn die Diagnose ADHS gestellt würde, bevor die Abwärtsspirale von Misserfolgen, Entmutigung und Resignation sich in Gang setzt. Mit einer störungsspezifischen Behandlung kann ADHS-Betroffenen sehr oft sehr gut geholfen werden.

Was mich bei meinen psychiatrischen und psychotherapeutischen Kollegen immer wieder erstaunt ist, dass sie sich nicht über ADHS fortbilden. Zwanzig Prozent ihrer Patienten sind betroffen! Sie unterlassen es somit, die Kompetenz zu erwerben, jeden Fünften ihrer Patienten richtig zu behandeln. Und nicht zuletzt verpassen sie selbst eigene Erfolge als Arzt, denn ADHS ist das dankbarste Krankheitsbild in der Psychiatrie. Bei keiner anderen psychischen Erkrankung kann Betroffenen so schnell und so nachhaltig geholfen werden wie bei ADHS. Denn: Vielen gelingt es, nach Diagnosestellung und richtiger Therapie, ihrem Leben eine gute Wende zu geben und erfolgreich zu sein.

Dr. Astrid Ney-Lobkowicz (früher Bartmann) wirkt seit über 25 Jahren als Fachärztin für Psychosomatik und Psychotherapie. Neben der Behandlung von allen seelischen Erkrankungen, insbesondere von Depressionen, Angstzuständen und psychosomatischen Symptomen, ist sie spezialisiert auf die Behandlung von ADHS bei Erwachsenen. Sie beschäftigt sich seit über 15 Jahren intensiv mit diesem Krankheitsbild und behandelte seither mehrere Hundert Patienten. In diesen Jahren erwarb sie sich profunde Kenntnisse über die Diagnostik, Behandlung und Verlauf.

Autorin des Buches: „ADHS, erfolgreiche Strategien für Kinder und Erwachsene“, Klett-Cotta Verlag.

 

Literatur:

Prof. Dr. Sarah Kittel-Schneider, Nervenarzt 7/2020

Prof. Alexandra Philipsen, Nervenarzt 7/2020

Prof. Esther Sobanski, Nervenarzt 7/2004

Prof. Heiliger, Deutsches Ärzteblatt 2008

Libutzki et al, review 2019

Chen et al 2018

 


Depression und Dysphorie bei ADHS

Fabian Ulrich Brennecke, adxs.org

Kirsten Brennecke, Diplompsychologin, psychologische Psychotherapeutin

 

Depression dürfte das am häufigsten mit ADHS verwechselte Störungsbild sein und den grössten Anteil an Fehldiagnosen bei einem real bestehenden ADHS beitragen. ADHS hat mit dem Symptom der Dysphorie bei Inaktivität ein sehr ähnliches und in der Momentaufnahme eines diagnostischen Gesprächs von wenigen Minuten kaum unterscheidbares Erscheinungsbild. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jede Dysphorie ein zwingender Beleg für ADHS wäre.


Eine «echte» Depression ist eine eigenständige Störung, die selbständig (ohne ADHS) oder komorbid neben ADHS besteht. Als Dysphorie bzw. Dysthymie wird eine langanhaltende chronische Verstimmung oder Niedergeschlagenheit bezeichnet. 
Abzugrenzen von einer Dysphorie/Dysthymie ist die mittlere oder schwere Depression, die ein erheblich schwerwiegenderes Mass an depressiver Symptomatik ausweist. Im Gegensatz zu Dysthymie / Dysphorie hält sie jedoch wesentlich seltener so lange an und tritt eher in wochen- bis monatelangen Phasen auf.

Depression oder ADHS – Differentialdiagnostik und Behandlung

In Abgrenzung zur Dysphorie ist eine Depression mit einer wesentlich stärkeren Stimmungsbeeinträchtigung verbunden, die in Abgrenzung zum ADHS-Symptom der Dysphorie bei Inaktivität nicht nur in Phasen der Inaktivität, sondern durchgängig auftritt.
Vereinfacht gesagt, ist Dysphorie bei Inaktivität ein langanhaltendes (schon jahrelang bestehendes oder immer bestehendes) Grau, das jedoch bei spannenden Aktivitäten regelmässig vergessen wird und vor allem an ruhigen Abenden, Wochenenden oder in den ersten (aktivitätsfreien) Urlaubstagen deutlich hervortritt. Depression ist hingegen ein tiefes Schwarz, das phasenweise über Wochen oder Monate auftritt und auch bei oder durch Aktivität kaum verdrängt werden kann.

Eine echte Depression ist kein Symptom einer ADHS, kann jedoch die Folge einer dauerhaften Überlastung aufgrund von ADHS sein.

Bei ADHS sind die basalen Cortisolwerte verringert. Bei der stationär behandelten Depression sind die basalen Cortisolwerte dagegen erhöht (wie auch, etwas weniger stark, bei stationär behandelten Angststörungen und Zwangsstörungen).(1)

Emotionale Dysregulation, Reizbarkeit, Wut und Unruhe bei ADHS korrelieren mit ADHS-spezifischen Genen und nicht mit Genen, die spezifisch mit affektiven Störungen (Depression) verbunden sind.(2)

Dysphorie

Nahezu jeder ADHS-Betroffene leidet an einer dysphorischen Symptomatik. Umgekehrt ist Dysphorie auch ohne AD(H)S anzutreffen. Dysphorie ist kein Beweis für ADHS, aber ein stetiger Begleiter einer bestehenden ADHS.

Die Kennzeichen von Dysphorie:

  • wenig Energie und Antrieb
  • geringes Selbstwertgefühl
  • geringe Kapazität für Freude im täglichen Leben (Anhedonie)
  • Dauer von 2 Jahren und mehr

Dysphorie / Dysthymie bei Inaktivität als ADHS-Symptom

Als ADHS-Symptom nennen die Wender-Utah Kriterien das Symptom der Dysphorie bei Inaktivität. DSM und ICD benennen dieses Symptom dagegen nicht. Unserer Auffassung nach ist Dysphorie (nur) bei Inaktivität ein originäres phänotypisches ADHS-Symptom und vom Störungsbild der Depression oder Dysphorie abzugrenzen.

Dysphorie als Stresssymptom

Der Stressnutzen von Dysphorie bei Inaktivität ist, den Betroffenen in Anbetracht eines vorhandenen lebensbedrohlichen Stressors aktiv zu halten. Inaktivität verringert die Wahrscheinlichkeit der Bewältigung einer lebensbedrohlichen Gefahr. Die emotionale Stimmung ist ein sehr starker Aktivitätslenker. Lebewesen versuchen eine positive, angenehme Stimmung zu erreichen und zu erhalten und eine negative Stimmung zu vermeiden.
Dies erklärt, warum die Stimmung bei langanhaltendem starkem Stress oder AD(H)S nur in Momenten der Passivität absinkt. Es wäre für das Überleben des Individuums nicht förderlich, wenn seine Stimmung auch in den Phasen der aktiven Bekämpfung des Stressors verringert wäre.
Entspannung, Genuss, Erholung sind in Zeiten einer relevanten Bedrohung nicht überlebensförderlich. Dies könnte den Nutzen der mit Dysphorie und Depression verbundenen Anhedonie erklären.

Insofern ist Dysphorie ein funktionales Stresssymptom, während die Symptome einer ausgewachsenen Depression eher dysfunktional sind, da sie nicht mehr dazu beitragen, den Kampf gegen den Stressor zu unterstützen.

Behandlungsresistente Depression verbirgt häufig unerkanntes ADHS

Bei 160 Erwachsenen mit einer behandlungsresistenten Depression wurde in einer Studie bei 34 % ein zuvor nicht diagnostiziertes ADHS festgestellt.(3) Dies deckt sich mit Angaben aus anderen Quellen.(4) Anscheinend besteht bei therapieresistenten Depressionen häufig eine unerkannte ADHS-Störung. Die mit unbehandeltem ADHS einhergehende Überlastung kann eine (Überlastungs-)Depression verursachen. Unabhängig davon fand eine Studie bei 58 % der stationären Psychiatriepatienten ein – in der Regel bis dahin nicht diagnostiziertes – ADHS.

Behandlungsreihenfolge

Eine echte mittlere oder schwere Depression (siehe melancholische / atypische Depression) sollte priorisiert behandelt werden.
Bei einer leichten Depression im Sinne einer Dysphorie / Dysthymie sollte dagegen ein komorbid bestehendes ADHS priorisiert behandelt werden, da durch die Beseitigung der ADHS-typischen Überlastung und der ADHS-typischen Symptome die ADHS-eigene Dysphorie sich oft mit vermindert.
Bei der Behandlung von dysphorischen Symptomen einer ADHS sind nach den uns zugänglichen Berichten Amphetaminmedikamente (Elvanse) gegenüber Methylphenidat meist überlegen.
Serotoninwiederaufnahmehemmer sind bei ADHS ohne Hyperaktivität grundsätzlich kontraindiziert, bei ADHS mit Hyperaktivität können sie dagegen angezeigt sein.
⇒ Anmerkungen zu Serotoninwiederaufnahmehemmern (SSRI) bei AD(H)S im Beitrag ⇒ Medikamente bei AD(H)S – Übersicht 

Depression bei Kindern mit ADHS

Eine spätere Depression wurde bei Kindern mit ADHS durch die Intensität der Anhedonie in der Kindheit vorhergesagt.(5) Depression scheint zudem erheblich geschlechtsspezifisch zu sein.

Neurophysiologische Gemeinsamkeiten von Depression und ADHS

Dopamin bei Depression

Als Ursache von Depressionen wird vorrangig eine Störung des Noradrenalin- und Serotoninstoffwechsels im Gehirn angenommen.
Daneben deuten Studien darauf hin, dass ein Dopaminmangel (wie er auch für ADHS typisch ist) einige Depressionssymptome verursachen kann. Vieles deutet auf die Beteiligung des Belohnungssystems (insbesondere des mesolimbischen dopaminergen Systems) an Anhedonie, Dysthymie und Depression hin.(6)(7)(8)(9)(10)

Medikamente, die den Dopaminumsatz im Gehirn reduzieren, wie z.B. Neuroleptika oder Reserpin, können depressive Episoden auslösen.(11)
Umgekehrt zeigt der Dopaminagonist Bromocriptin in einigen Studien antidepressive Eigenschaften.(12)
Ebenso zeigte sich in einer Studie an (allerdings nur 5) Depressiven eine positive Wirkung von einer augmentierenden (ergänzend zu SSRI) Gabe von Methylphenidat, das bekanntlich durch Wiederaufnahmehemmung den Dopamin- und Noradrenalinspiegel anhebt.(13)

Dass Anhedonie der Dysphorie ähnlicher ist als den Symptomen einer mittleren oder schweren Depression könnte als Hinweis darauf verstanden werden, dass die AD(H)S-typische Dysphorie (bei Inaktivität) originär durch den ADHS-typischen Dopaminmangel (vorrangig im Striatum) verursacht wird. Dies würde auch erklären, warum eine Stimulanzienbehandlung (insbesondere durch Amphetaminmedikamente) die Dysphorie positiv beeinflussen kann. Zudem tritt Anhedonie auch als originäres ADHS-Symptom auf.
Chronischer Stress korreliert mit einer Dopaminverarmung im Gehirn und ist mit dopaminerg wirksamen Substanzen therapierbar. Mehr hierzu unter ⇒ Veränderung des dopaminergen Systems durch chronischen Stress im Beitrag ⇒ AD(H)S als chronifizierte Stressregulationsstörung im Kapitel ⇒ Stress.

Niedriger hedonischer Tonus bei ADHS und Depression

Bei Anhedonie spielen die mit Belohnung und Motivation verbundenen dopaminergen Schaltungen eine Schlüsselrolle bei der Aufrechterhaltung des hedonischen Tonus, insbesondere Bottom-up- und Top-down-Projektionen in das dopaminerge System von(14)

  • PFC
  • lateraler Habenula
  • ventralem Tegmentum.

Depression, ADHS und Suchverhalten haben gemeinsam einen niedrigen hedonischen Tonus (Low hedonic tone).(14)(15)

Differentialdiagnostik von Depression und ADHS

Dysphorie bei Inaktivität ist ein originäres Symptom von ADHS. Tritt die Dysphorie bei Aktivität nicht auf oder ist Dysphorie stark interessengesteuert, sind dies deutliche Zeichen gegen Depression und für ADHS. Ist die Dysphorie hingegen unabhängig von der Aktivität und vom Interesse an der Aktivität, spricht dies unserer Ansicht nach eher für Depression. Damit ist nicht die stimmungsaufhellende Folge von Bewegung gemeint, die störungsunabhängig auftritt. 

Etwa 50 % aller schwer depressiven Patienten zeigen einen erhöhten basalen Tagescortisolspiegel (überaktive HPA-Achse). Etwa 35 % sind Nonsuppressoren beim Dexamethasontest.(31)(32)(33)

Bei Burnout ist dagegen der Tagescortisolspiegel deutlich niedriger, das Morgencortisol hoch (CAR) entfällt und der Tagesverlauf ist insgesamt abgeflacht.(34). Dies zeigt den Zusammenbruch des cortisolergen Systems in den letzten Stressphasen. Mehr hierzu unter ⇒ Zusammenbruch des Cortisolystems über die Stressphasen im Beitrag ⇒ Die Stresssysteme des Menschen – Grundlagen von Stress im Kapitel ⇒ Stress.

Dieser Text ist ein Auszug aus der Webseite www.adxs.org von ADxS.org.

ADxS.org ist ein vollständig nichtkommerzielles Projekt und ist dem Engagement von Ulrich und Kirsten Brennecke zu verdanken. Ihr erklärtes Ziel ist eine fachliche Auseinandersetzung mit ADHS aus wissenschaftlicher Sicht. ADxS.org zielt darauf ab, eine systematische Darstellung der für das Verständnis von ADHS relevanten medizinischen und neurobiologischen Zusammenhänge zu erstellen. Dabei wird stets versucht, neue Forschungsansätze zu integrieren und diese auch wissenschaftlich zu belegen. 

Auf der Internetplattform www.adxs.org ist das neutrale und eindrückliche «ADHS-Kompendium» sowohl Ärzten, Wissenschaftlern, Therapeuten als auch Betroffenen und ADHS-interessierten Personen kostenlos zugänglich. Eine 2. gedruckte und aktualisierte Auflage sollte im Frühling 2021 erscheinen. Die SFG ADHS bedankt sich für die freundliche Genehmigung, Textstellen aus dem Kapitel zu «Depression, Dysphorie und ADHS» im aktuellen Newsletter publizieren zu dürfen.

Buchbesprechung

 

Rezensionen zum aktuellen Bestseller von zwei begeisterten SFG-Mitgliedern

Dieses Buch müsste eigentlich als Pflichtlektüre allen Menschen «verordnet» werden, die mit Kindern zu tun haben. Pädagogen, Eltern, medizinisches Fachpersonal, Sozialarbeitende etc.

Was hier als Kinderbuch daherkommt – und als solches auch wunderbar zum Vorlesen oder selbst lesen geeignet ist – ist eine geballte Ladung an Anleitung zum Umgang mit Kindern, die unter Aufmerksamkeitsproblemen leiden. In herrlicher Sprache und wunderbar gezeichneten Bildern wird die Geschichte der Häsin Lotte erzählt, die kaum je den Ansprüchen von aussen genügen kann. Die Abgründe eines Kindes mit diesen Schwierigkeiten werden mit unglaublicher Einfühlsamkeit und Liebe geschildert. Die Probleme werden nicht bagatellisiert, sondern übers Buch verstreut mit genial einfach umzusetzenden Tipps ergänzt. Diese Tipps, die der langjährigen Erfahrung der beiden Psychologen Rietzler/Grolimund und ihrer Lernpraxis entstammen, sind am Ende des Buches nochmals sehr ansprechend illustriert, zusammengefasst.

Ein geniales Buch – schade, gibt’s das nicht schon viel länger. Manchen Kindern, Eltern und Begleitpersonen wäre durch dieses Wissen viel Leid erspart worden.

Ursula Ammann

Das Buch von Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund kommt sehr attraktiv daher: schön bunt, mit vielen tollen und liebevoll gemalten Bildern. Es macht so richtig Lust zum Lesen.

Der Blick ins Inhaltsverzeichnis zeigt, dass das Hasenmädchen Lotte so ungefähr alle Probleme hat, die Menschenkinder mit AD(H)S auch haben. Dinge werden vergessen, seien es Arbeitsblätter oder Hausaufgaben. Prüfungstermine stehen in der Agenda, doch leider in der falschen Woche. Die Lehrerin und die Mutter schimpfen viel mit Lotte. Vater und Onkel haben allerdings Verständnis für ihre Schwierigkeiten – und zum ganz grossen Glück hat sie zwei supergute Freundinnen. Doch erst mit dem Auftauchen der Wölfin Sakira erhält sie den «Schlüssel», für die Lösung ihrer Probleme. Denn sie lehrt das Hasenkind den Wolfsblick. Und dank diesem kommt Lotte mit ihrer AD(H)S, ihren exekutiven Funktionen und ihrer Achtsamkeit viel besser klar.

Lotte lernt viel und schafft es zunehmend besser, achtsam zu sein, denn dann vergisst man viel weniger. Bald gelingt es ihr, die Dinge richtig in die Agenda einzutragen und in den Schulsack zu packen. Am Ende der Geschichte geht es Lotte richtig gut. Man freut sich mit ihr und blättert weiter…Für Eltern und interessierte Erwachsene wird die Theorie nach der wunderschönen Geschichte – AD(H)S, exekutive Funktionen und Achtsamkeit – kurz und verständlich erläutert.

Es ist eine grosse Freude, ein solches Buch lesen zu dürfen und ich würde mir noch viel mehr solche Literatur wünschen. Passende Themen gäbe es noch einige…

Monika Brunsting

 

Hinweise

 Die Mitgliedertagung findet neu am 25. März 2021 (statt 18.3.2021), 14.00 – ca. 17.30 Uhr als Webinar mit zwei spannenden Referaten statt.

Weitere Informationen finden Sie auf unserer Homepage: https://www.sfg-adhs.ch/