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ADHS Aktuell

 
Editorial
 

Der aktuelle Newsletter ist der Komorbidität von ADHS und Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen sowie bei Erwachsenen gewidmet – ein Thema, das sehr gut in die gegenwärtig unsichere Zeit passt.

Dr. Monika Brunsting beleuchtet entwicklungspsychologische, neurowissenschaftliche und psychotherapeutische Aspekte der Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen und zeigt auf, was und weshalb die ADHS die Entwicklung von Angststörungen fördern kann. Anhand eines praktischen Beispiels schildert sie, wie Betroffene in der achtsamkeitsbasierten Psychotherapie lernen können, mit ihren Ängsten besser umzugehen.

Wie verbreitet Angststörungen bei Erwachsenen mit ADHS sind, welche möglichen Zusammenhänge zwischen ADHS und Angststörungen bestehen und wie eine Angststörung bei Erwachsenen mit ADHS am besten therapiert werden kann, legt der Psychologe Fabian Eberle in seinem Artikel «Vom Zappelphilipp und Träumer zum Angsthasen und Katastrophisierer» dar.

Ursula Ammann zeigt in ihrem neuesten Beitrag «ADHS Analog», wie analoge Methoden Menschen mit ADHS helfen können, die in ihrer Freiheit und ihrem Radius zunehmend eingeschränkt werden, weil sie die Angst vermeiden wollen.

Zum Schluss finden Sie Hinweise auf Veranstaltungen und Weiterbildungsmöglichkeiten

 

Herzliche Grüsse,
 

Isolde Schaffter-Wieland und Felicitas Furrer

 

AD(H)S und Ängste bei Kindern und Jugendlichen - entwicklungspsychologische, neurowissenschaftliche und psychotherapeutische Aspekte

Monika Brunsting, Dr. phil. Fachpsychologin für Psychotherapie, Sonderpädagogin

 

Einführung

Man geht heute davon aus, dass weit über die Hälfte der AD(H)S-betroffenen Kinder eine Komor­bidität haben, dabei gehören Ängste und Angststörungen zu den vier häufigsten. Zu beobachten ist das ganze Spektrum der Angststörungen – von Trennungsangst, Phobien, Panikattacken bis hin zur generalisierten Angststörung. ADHS und Ängste sind eng miteinander verwoben und es ist nicht immer einfach zu entscheiden, ob therapeutisch mit der ADHS oder der Angststörung begonnen werden soll.

 

Entwicklungspsychologische Aspekte

Kinder und Jugendliche haben viele und unterschiedliche alterstypische Ängste, die in Erziehung und Therapie berücksichtigt werden wollen. Eine Trennungsangst ist bei einem kleineren Kind normal, bei einem Jugendlichen dagegen nicht mehr. Manche Ängste bleiben bei betroffenen Kindern sehr lange bestehen und können sich zu eigentlichen Angststörungen ausbilden. Andere wiederum sind ent­wick­lungs­geschichtlich bedingt und verschwinden von allein ohne je das Ausmass einer Angststörung zu erreichen.

Es ist normal, Ängste zu haben und nicht immer führen sie zu Angststörungen. Solange sie dem Entwicklungsalter angemessen sind und das Leben nicht allzu sehr beeinträchtigen, genügen oft erzieherisch geschickte Massnahmen. Es braucht nicht in jedem Fall eine Therapie ins Auge gefasst zu werden.

Die grosse Lebhaftigkeit vieler ADHS-Familien ­– die Kinder immer wieder in unerwartete Situationen bringt und sie damit verunsichert – ist wenig geeignet, innere Sicherheit aufzubauen oder Ruhe zu finden. Sie kann deshalb zum idealen Nährboden für die Entwicklung von Angststörungen werden.

 

Neurowissenschaftliche Aspekte

Roth & Stüber (2014) zeigen, dass Menschen sich in ihrer Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen von Anfang an unterscheiden. Dies erschwert es vielen Kindern, sich zu steuern und sich selbst zu be­ruhigen. Innere Unruhe hilft, Ängste nicht nur zu haben, sondern auch zu behalten.

Bei manchen Kindern mit einer ADHS sind typische, entwicklungsbedingte Ängste stärker ausgeprägt oder dauern länger als bei Nichtbetroffenen. Die Hirnentwicklung spielt dabei eine grosse Rolle: Viel Energie in den Systemen, die Ängste produzieren (Amygdala) und wenig Power zur Kontrolle der Emotionen (Frontallappen). Zur Regulation der Ängste sind Kinder damit stärker auf ihre Bezugspersonen angewiesen und ein guter «Elternfrontallappen» ist ein grosses Glück. Gelingt es Eltern, ihrem Kind die Gelassenheit zu vermitteln, es komme schon gut, die Angst ziehe vorüber wie ein Gewitter, ist viel gewonnen. Wenn sie über Handlungsmöglichkeiten verfügen, um für sich selber und ihre Kinder Ruhe zu finden, können diese von ihnen lernen, wie man wieder zur Ruhe kommt. Hier liegt eine besondere Schwierigkeit für Kinder mit einer ADHS: Ruhige, gelassene Eltern sind nicht so häufig in betroffenen Familien anzutreffen. Manche reagieren ausgesprochen impulsiv: Die Ängste des Kindes bleiben bestehen, schaukeln sich auf und werden zu Angststörungen.

 

Sich selbst beruhigen oder mein Autopilot und ich

Man kann Ängste als Problem der Selbstregulation betrachten: Sie erschweren den Versuch, sich zu beruhigen. Viele Ängste ADHS-Betroffener haben zudem mit ihrer Impulsivität zu tun. Das Gefühl, seinen Impulsen ausgeliefert zu sein, kann Angst auslösen.

Die Neurowissenschaftler sprechen gern vom «Autopiloten» und meinen damit die Instanz im limbischen System, die Entscheidungen impulsiv trifft, ohne sie mit dem Frontallappen zu über­prüfen. Je jünger die Kinder, desto weniger fähig sind sie aufgrund der verzögerten Entwicklung ihres Frontallappens, ihre Impulse zu steuern. Häufig scheint dies bei ADHS-betroffenen Menschen ein lebenslanges Problem zu sein.

Es ist keineswegs so, dass der Autopilot stets Unrecht hätte, aber es braucht eine Art Gegengewicht, um die impulsive Entscheidung zu überprüfen (das «Ich»). Wenn der berühmte Säbelzahntiger hinter dem Gebüsch brüllt, ist es Zeit, sich kurz zu fragen, ob Flucht oder Kampf die bessere Lösung sind und dies auch sofort umzusetzen. Mit seinem Autopiloten verhandeln zu können, heisst, ihm nicht aus­geliefert zu sein und das letztlich bedeutet Freiheit der Entscheidung. Beide sind wichtig, der Auto­pilot und mein Ich (Brunsting, 2019) – je besser die beiden miteinander auskommen, desto besser für mich.

 

Wie umgehen mit Ängsten und Angststörungen?

Ängste gehören also zum Leben und können sehr hilfreich sein, indem sie Wege aufzeigen oder vor anderen warnen.  Man kann lernen, sie zu meistern und mit ihnen sinnvoll umzugehen: Man kann sozusagen ihr Dompteur zu werden. Gelingt dies nicht, nehmen sie überhand und wir sind ihre Sklaven statt ihr Dompteure… Dann ist der Zeitpunkt gekommen, einen therapeutischen Weg zu beschreiten.

Die Selbstregulation und die Selbstberuhigungsfähigkeit lassen sich auf verschiedene Weisen entwickeln. In Brunsting (2019) sind viele verschiedene Wege aufgezeigt. Allerdings ist dies in einer typischen ADHS-Familie weniger einfach als in anderen Familien.

Wie man Eltern in ihrer Erziehungsaufgabe stärken kann, zeigen der Neurowissenschaftler und Psychiater Dan Siegel und Tina Payne Bryson in ihrem sehr lesenswerten Buch «Achtsame Kommunikation mit Kindern» (2013, S.197-201). In fünf «Kühlschranknotizen» fassen sie die wichtigsten Punkte ihrer Botschaft kurz zusammen:

  1. «Die linke und rechte Hirnhälfte integrieren» -> Klarheit und Verstehen. In einer kritischen Situation sich zuerst emotional mit dem Kind zu verbinden und erst dann zu verstehen suchen, scheint ein guter Weg zu sein. Die Devise: Starke oder schwierige Emotionen benennen, um sie zu zähmen («Name it to tame it»).
  2. «Das obere und das untere Gehirn integrieren» -> Begegnen und beispielsweise fragen Was könnte dir helfen das zu tun?» statt befehlen Tu das sofort! Wird die Situation sehr schwierig, hilft es oft, sich körperlich zu bewegen, um das emotionale Gleichgewicht eher zu finden.
  3. «Die Erinnerung integrieren» -> viele ADHS-Betroffene erinnern sich schlecht an Erlebtes und lernen auf diese Weise wenig daraus. Die Autoren empfehlen, die «Fernbedienung des Geistes zu nutzen» und sich zusammen mit dem Kind vorzustellen, wie es anders hätte sein können. Auch die «Pause-Taste» zu drücken («den Film anzuhalten»), wenn etwas ganz schwierig ist, ist hilfreich. Auf diese Weise können sie lernen, ihre Erinnerungen zu aktivieren, um sie zu integrieren und sich selber zu steuern.
  4. «Die vielen Teile des Selbst integrieren» -> ADHS-Betroffene haben oft Schwierigkeiten, den «Blick nach innen» zu wenden und sich selbst wahrzunehmen. Auch Emotionen vorbeiziehen zu lassen ist eine Herausforderung.
  5. «Das Selbst und andere integrieren» -> auch ADHS-Betroffene leben in einer Gemeinschaft, wenngleich sie oft Schwierigkeiten damit haben. Wie also können sie zum «Wir» gelangen? Siegel & Bryson plädieren für gemeinsame Freuden, aber auch für gemeinsames Bewältigen von Konflikten.

Diese Bausteine für eine gesunde Entwicklung (mit oder ohne ADHS) sind essentiell und können in jeder Lebenslage als Hilfe dienen. Sie sind in einer Psychotherapie mit Kindern oder Jugendlichen ebenfalls sehr wertvoll.

 

Therapieansätze bei ADSH und Angststörungen

Verschiedene Wege führen nicht nur nach Rom, sondern auch dazu, mit Angst gut leben zu lernen. Es gibt wohl keine psychotherapeutische Richtung, die sich nicht mit Ängsten und Angststörungen be­schäftigen würde. Hier ist nicht der Platz für eine grosse Übersicht und so soll nur ein Blick auf die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) geworfen werden. Insbesondere die Kombination von KVT und Achtsamkeit scheint eine vielversprechende Möglichkeit zu sein, wie Lindenkamp (2020) in seiner Metaanalyse aufzeigt. Er stellt fest, dass achtsamkeitsbasierte Ansätze, die heute oft mit kognitiver Verhaltenstherapie kombiniert werden, gute Erfolge haben bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS. Achtsamkeit hilft bei Ängsten, weil es dabei sehr stark um Selbstregulation, Konzentration und innere Ruhe geht (s.a. Brunsting, Nakamura, Simma, 2013).

Wer seine Erziehungsarbeit neurowissenschaftlich und achtsamkeitsbasiert entwickeln möchte, findet bei Siegel & Bryson (2013) ausgezeichnete Unterstützung. Auch Mila und Jon Kabat-Zinn sind hier sehr wichtige Autoren (2007).

In Therapien kann dies ebenfalls direkt oder indirekt genutzt werden, um die Eltern zu befähigen, dies möglichst gut zu tun.

Wie eine achtsamkeitsbasierte Psychotherapie mit ADHS-Jugendlichen aussehen kann zeigen Zylowska et al. (2008). Bereits vor einigen Jahren beschrieben Semple & Lee (2011, in Greco & Hayes), welche therapeutischen Themen in einer Therapie von Angststörungen wichtig sind. Das Erlernen der Achtsamkeit durch die Sinne, d.h. achtsames Atmen, Essen, Zuhören, Sehen, Berühren, Riechen und eine achtsame Wahrnehmung des Körpers sind sehr wichtige Stationen einer Therapie von Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen. Durch die Achtsamkeit treten Ängste zumindest vorübergehend in den Hintergrund. Mithilfe der Achtsamkeit lernen Kinder Gedanken als Gedanken zu begreifen (d.h. als etwas das kommt und geht) und nicht als Katastrophe, die unmittelbar bevor­steht oder als Realität.

Ein Beispiel aus einer Psychotherapie mit einem Jugendlichen soll dies illustrieren:

 

Ben, 13 Jahre, ADHS mit Lernstörungen, Schul- und Prüfungsangst

Ben sollte die Übung Stille Minuten lernen, während der er auf seinen Atem achten und möglichst alles andere ausblenden sollte, um seine Ängste zu regulieren. Er war sehr stark hyperaktiv und befürchtete, dies nicht zu schaffen. «Das kann ich sicher nicht!», wehrte er ab und geriet noch mehr in Stress. Die Therapeutin schlug vor: «Tu einfach mal so, als ob du es könntest. Das kann niemand einfach so. Aber man kann es lernen.». So tun als ob, fand er, das würde er wohl schaffen. Beruhigt versuchte er es. Normalerweise leite ich Stille Minuten während einer bis drei Minuten an und über­lasse dann die Steuerung den Kindern oder Jugendlichen. Ben darf also selber entscheiden, wie lang seine Stille Minute dauern soll und er bleibt 6 Minuten in dieser Übung drin. Erst als er gebeten wird, langsam, in seinem Tempo wieder zurückzukommen, tut er das ganz ruhig. Auf die Frage, wie er das so lang geschafft habe und wie es für ihn gewesen sei, antwortete er: «Super! So ruhig da oben!» und zeigte begeistert auf seinen Kopf. Er hatte also das Glück, bereits beim ersten Versuch einen Unterschied zu erleben.

Ben kann auf diesem Weg lernen, sich selbst zu beruhigen und seinen Stress abzubauen. Er erlebt Selbstwirksamkeit («Ich kann das selbst. Ich kann auch Ängste in Schranken halten»). Zu den Therapie­aufgaben gehörte, dass Ben die Stille Minute auch mit seinen Eltern machte. Das tat er ­– wie die meisten Kinder und Jugendlichen – gut. So kann die Effektivität der Therapie in vielen Fällen verbessert werden.

Der Grundlage vieler Ängste kann mit dieser einfachen Übung gut begegnet werden. In Snel (2013), Brunsting (2014, 2019), Grolimund & Rietzler (im Druck) und Zylowska et al. (2008) sind neben der theoretischen Einführung auch viele praktische Übungen zu finden. Diese auszuprobieren lohnt sich nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für Eltern, Lehrpersonen und Therapeuten.

 

Zusammenfassung

  • Ängste sind normal, können vor Gefahren warnen und damit der Lebensbewältigung dienen.
  • Sie haben bei Kindern und Jugendlichen je nach Alter spezifische Themen (z.B. Trennungsangst, soziale Angst).
  • Solange sie im alterstypischen Rahmen bestehen, reicht es oft, wenn Eltern ihr Kind dabei unterstützen, in sich Ruhe zu finden (d.h. Selbstberuhigungsfähigkeit trainieren).
  • Bei manchen ADHS-Betroffenen bleiben Ängste besonders stark und lang bestehen und können sich zu Angststörungen entwickeln, was therapeutische Massnahmen erfordert. Kognitive Verhaltenstherapie kombiniert mit Achtsamkeitsübungen haben sich in den letzten Jahren bewährt.
  • Der Umgang mit Angst kann wie andere Themen der Selbstregulation trainiert werden.

Sich in Achtsamkeit zu üben, ist in unserer hektischen Zeit generell ein guter Weg. Kurse dazu siehe Website Verband MBSR Schweiz www.mindfulness.swiss

 

Literatur und Links:

Brunsting, M. (2014): Träumer oder ADS? Oberuzwil: Verlag am Weiher

Brunsting, M. (2019): Mein Autopilot und ich. Bern: Haupt

Brunsting, M.; Nakamura, Y. & Simma, Ch. (2013). Wach und präsent. Bern: Haupt

Greco, L.A. & Hayes, S.C. (Hrsg). (2011) Akzeptanz und Achtsamkeit in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Weinheim: Beltz

Kabat-Zinn, M. & J. (2007). Mit Kindern wachsen. Freiburg: Arbor

Lindenkamp (2020) Effektivität achtsamkeitsbasierter Therapieverfahren bei Kindern- und Jugendlichen mit ADHS – ein systematisches Review. Lernen & Lernstörungen 2020, 9 (1), 25-35. https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000265

Rietzler, S. & Grolimund, F. (im Druck): Lotte. Träumst du schon wieder? Freiburg: Herder

Semple, R.J. & Lee, J. (2011): Behandlung von Angststörungen durch Achtsamkeit: Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie für Kinder. In: Greco & Hayes, 2011, S. 72-98

Siegel, D. & Payne Bryson, T. (2013). Achtsame Kommunikation mit Kindern. Freiburg: Arbor

Snel, E. (2013): Stillsitzen wie ein Frosch. München: Goldmann

Zylowska, L.; Ackerman, D.; Yang, M. et al. (2008): Mindfulness meditation training in adult and adolescents with ADHD. Journal of attention disorders, 11(6), 737-746

 


„Vom Zappelphilipp und Träumer zum Angsthasen und Katastrophisierer“

ADHS und Angststörung im Erwachsenenalter

Fabian Eberle, lic. phil. Fachpsychologe für Psychotherapie FSP, Leitender Psychologe/ Psycho-therapeut ZADZ AG – Zentrum für Angst- und Depressionsbehandlung Zürich mit Unterstützung von Stephan Fundinger, Psychologe, ZADZ

 

Wissenschaftlicher Hintergrund und die Schwierigkeit des Entdeckens

Das Risiko eine Angststörung zu entwickeln, ist bei Personen mit ADHS um 20 - 50% höher im Ver­gleich mit der Normalbevölkerung (Katzman et al.,2017). Zudem zeigen Menschen mit der Komor­bidität Angststörungen und ADHS im Vergleich zu Personen ohne ADHS eine Tendenz zu stärkeren Angstsymptomen und einem früheren Beginn der Angstsymptomatik. Eine Problematik ist, dass bei Personen mit ADHS und einer Angststörung, die Diagnose ADHS häufig viel später diagnostiziert wird als bei Personen ohne Angststörungen. Man geht davon aus, dass die Ängste die Impulsivität der ADHS-Symptomatik überdecken und es somit für den Behandler schwieriger wird, diese zu erkennen. Eine andere Schwierigkeit des Erkennens der ADHS-Symptomatik zeigt sich zum Beispiel bei Menschen, die unter einer sozialen Phobie leiden. Diese wirken im therapeutischen Kontext oft sehr angepasst (kommen pünktlich, zeigen sich verbindlich, möchten nichts Falsches sagen). Dieses Ver­halten ist untypisch für eine Person mit ADHS, jedoch könnte hier auch eine AD(Hypoaktivität)S Thematik vorhanden sein, welche dann nicht erkannt wird.

 

Wie kann ein möglicher Zusammenhang von ADHS und Angststörungen aussehen?

Eine langjährige Geschichte des Scheiterns in der der Schulzeit, während der Kindheit und den Jugend­jahren – bedingt durch eine ADHS Thematik – kann bei einer Person ein niedriges Selbst­vertrauen bewirken. Dies kann dazu führen, dass die Person bestimmte Situationen (z.B. Prüfungen) vermeidet, dass sie das Scheitern prophezeit oder sie sich durch andere nicht verstanden fühlt. Diese schwierigen emotionalen Erfahrungen werden verinnerlicht und können zu einer späteren Entwick­lung komorbider Ängste führen.

Ein weiteres Beispiel für einen Zusammenhang zwischen der Impulsivität der ADHS-Thematik und daraus resultierenden Ängsten wäre, dass ein Kind durch sein impulsives, sozial auffälliges Verhalten vermehrt in Konflikte gerät und es daraus eine soziale Phobie (innerer Leitsatz: „Andere sind für mich bedrohlich“) entwickeln kann. Ein impulsives Verhalten des Kindes kann auch dazu führen, dass sich die Eltern starke Sorgen um das Kind machen. Dies wiederum kann nach der Modelllerntheorie von Bandura beim Kind dazu führen, dass es die Ängste und Sorgen der Eltern übernimmt und schließlich eine generalisierte Angststörung entwickelt.

Eine mögliche Erklärung für resultierende soziale Ängste aus einer ADHS-Thematik wäre Folgende: Die ADHS bedingte Verträumtheit und leichte Ablenkbarkeit in Konversationen kann dazu führen, dass das Gegenüber sich in einem Gespräch nicht ernst genommen fühlt und dies dem Kind mit der ADHS-Symptomatik verbal oder auch nonverbal zu spüren gibt. Diese Signale wiederum können beim Kind mit der ADHS-Symptomatik zu einer nachvollziehbaren Verunsicherung führen.

Dieses Sich-Ausgeschlossen-Fühlen, das Vorhandensein stetiger Sorgen, der Gedanke „anders zu sein wie die anderen“, das Vermeiden ausgewählter Situationen und auch Rückzugstendenzen lassen sich bei ADHS-Patienten als beobachtbare Symptome beschreiben, wie auch bei Patienten mit Angststörungen. Beide verbinden zudem ein hohes Anspannungsniveau oder die Hyperfokussierung ausgewählter Reize (Becker, 2005).

 

Wie therapiert man am besten, wenn eine ADHS- und eine Angstsymptomatik vorhanden sind?

Da ich als Psychologe/Psychotherapeut über keinen medizinischen Hintergrund verfüge, stütze ich mich bezüglich der Empfehlung der medikamentösen Therapie auf die Studienlage. Ich möchte betonen, dass es sich hier um einen Ausschnitt handelt, der als Anregung gedacht ist.

Früher war oft die Meinung vertreten, dass Psychostimulantien keine lindernde Funktion auf eine Angstsymptomatik hätten oder diese in ungünstiger Weise sogar verstärken könnten. Neuere Studien belegen jedoch, dass solche Medikamente durchaus einen günstigen Einfluss auf die Angstsymptomatik haben können (Koynuncu, Celebi & Ertekin, 2015). Bei Erwachsenen mit ADHS und einer sozialen Phobie erzielte eine Behandlung mit Atomoxatin (Strattera, SNRI) den stärksten Effekt (Adler et al., 2009). Eine Behandlung mit Methylphenidat (Ritalin, Concerta) führte ebenfalls zu einer Reduktion der Symptomatik von ADHS und sozialer Phobie (Golubchik, Sever & Weizman, 2014).

Bei der Frage, welche Symptomatik sollte man zuerst behandeln, zeigt sich die aktuelle Studienlage leider nicht eindeutig. Dr. Liji Thomas MD (www.news-medical.net) meint, dass die Behandlung der ADHS-Symptomatik vor der darüber liegenden Angstsymptomatik angegangen werden sollte. Dies mit der Hypothese, dass durch die Behandlung der ADHS-Symptomatik beim Patienten auch die Ängste schwächer werden. Katzman et al. (2017) sind der Meinung, dass sich die Behandlung zuerst auf die Symptomatik fokussieren sollte, welche für den Patienten als belastender empfunden wird und ihn somit in seiner Lebensweise auch stärker einschränkt.

Aus meiner Erfahrung in der Praxis zeigt sich, dass es sich lohnt, zuerst eine breite, fundierte Abklä­rung und bei einem ADHS-Verdacht auch eine erste Testdiagnostik durchzuführen. Der innere Leit­satz, den Patienten dort abholen, wo er sich befindet, hilft mir als erster Anhaltspunkt, an welchem sich Therapieaufträge ableiten lassen. Aufgrund der daraus gewonnenen Informationen kann man als Behandler, mit dem Patienten zusammen, gezielt einen individuellen Therapiefahrplan mit realisti­schen Zielen erarbeiten. Diesen gilt es, im therapeutischen Prozess immer wieder zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen, damit aus einem Katastrophisierer wieder ein Träumer werden kann.

 

Literaturangaben:

https://www.news-medical.net/health/ADHD-and-Anxiety.aspx

Adler et al. (2009). Atomoxetine treatment in adults with attention-deficit/hyperactivity disorder or comorbid social anxiety disorder. Depression and Anxiety, 26, 212 – 221.

Becker, E.S. (2005). Generalisierte Angststörungen. In F. Petermann & H. Reinecker (Hrsg.) Handbuch der klinischen Psychologie und Psychotherapie (S. 499 – 506). Göttingen: Hogrefe.

Golubchik, Sever & Weizman (2014). Metylphenidate treatment in children with attention deficit hyperactivity disorder and comorbid social phobia. International Clinical Psychopharmacology, 29, 212 – 215.

Katzman et al. (2017), Adult ADHD and comorbid disorders : clinical implications of a dimensional approach, BMC Psychiatry. 17 :302

Koynuncu, Celebi & Ertekin (2015). Extended-release methylphenidate treatment and outcomes in comorbid social anxiety disorder and ADHD : 2 case reports. Journal of Psychiatric Practice. Epub ahead of print.


ADHS Analog

In unserer Serie schreibt Ursula Ammann, MAS Supervision und Coaching ZHAW und Studienleiterin icp über analoge Methoden, die sich im Therapie- und Coachingbereich bewährt haben, heute zum Thema:

 

Angst

Wer kennt sie nicht, die Angst? Ihr Fehlen würde uns zu Unvorsichtigkeit, zu Gedankenlosigkeit und zu risikoreichem Handeln verführen. Sie hat durchaus ihre Berechtigung – in der Schematherapie wird sie gewürdigt und ihr Anteil an gelingendem Leben definiert.

Ihr zweites Gesicht ist ein böses, einengendes und handlungsunfähig machendes. Die Angst ist unberechenbar, oft unplanbar und in der Regel sehr unwillkommen.

Meine Klienten machen häufig die Erfahrung, dass sie versuchen, die Angst zu vermeiden und deshalb immer mehr in ihrer Freiheit und ihrem Radius eingeschränkt werden.

Wie können hier analoge Methoden helfen?

Bereits vor vielen Jahren entdeckte ich in der Supervision das Buch von Mary Goulding

«Kopfbewohner: Wer oder was entscheidet unser Denken». Die grosse alte Dame der TA (und Gestalttherapie) geht hier lustvoll und mit viel Einfühlungsvermögen auf unsere inneren Stimmen (Kopfbewohner) ein. Sie macht Mut, diese zu visualisieren und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Schliesslich verabschiedet sie sie in Form eines Luftballons. Ihr Buch mag Vorbild für den Film «Alles steht Kopf» und diverse «Monster»-Bücher sein.

 

 

 

Ihren Ansatz adaptierend, malen oder gestalten meine Klienten ihre inneren Einflüsterer und geben diesen Namen. Da kommen spannende Bilder heraus, auch bei jenen, die vermeintlich nicht zeichnen können (einmal mehr: zum Visualisieren muss man nicht zeichnen können!!!).

Mit diesen Gestalten wird dann der reale Dialog gesucht (nicht der stille, innere, sondern wirklich hörbar!). Zum einen – je nach Situation – werden sie Schema-like gewürdigt. Dann aber wird ihnen ihre Stammwohnung gekündigt. In der Regel wohnen die nämlich Penthouse-mässig mit bester Übersicht im Stirnbereich – man muss ja alles mitbekommen und kommentieren können....

Nun ist ein Umzug angesagt (im Gegensatz zu Goulding lasse ich sie nicht wie ein Ballon entschweben, sie haben ja durchaus auch ihre Berechtigung). In der Regel lassen sie meine

Klienten in den Hinterkopf oder noch besser, hinters Ohr umziehen – da ist die Aussicht doch sehr beschränkt ;-)

 

 

Jetzt gilt es in einem wei­te­­ren Schritt, die Pent­house-Woh­nung neu zu vermie­ten! Ein wich­tiger Schritt, dem man ge­nügend Zeit ein­­räu­men muss. Hier geht es um ein lustvolles Ent­­wer­fen und Einrichten, da­mit sich die neuen Mieter wohl­füh­len. Sehr oft wählen meine Klienten dann «Zu­ver­sicht», «Ver­­trauen», «Freude» etc. als neue Bewohner.

Eine Arbeit, die den meisten Klienten sehr Spass macht, weil sie aus der Erstarrung in die Handlungsfähigkeit kommen. Sie werden aktiv, können in Angstsituationen mit ihrem inneren Monster in den Dialog treten und es an seinen Platz verweisen. Manchmal werde ich vom Erfolg dieser Methode selbst überrascht. So erinnere ich mich an einen 18-jährigen, sehr feinfühligen Klienten, der in seinem Arbeitsumfeld mit mehreren schwereren Unfällen konfrontiert war und eine beträchtliche Angst inklusive Schlafstörung entwickelte. Nach nur zwei Gesprächen berichtete er mir, dass er nun vollkommen angstfrei sei. Besonders spannend: Sein Bruder, den ich aktuell begleite, erlitt letzte Woche einen sehr schweren Unfall mit noch unbekannten Heilungsaussichten. In der Folge telefonierte ich meinem ehemaligen Klienten, um nachzufragen, wie es ihm gehe – und ich staunte und freute mich, dass er nicht in alte Muster zurückgefallen ist.

Daneben arbeite ich auch klassisch mit den Desensibilisierungen der Verhaltenstherapie – die sind in sich etwas “gruseliger”, da man ja eine angstauslösende Situation in mehrere Unterschritte unterteilt und diese dann bewusst abruft. Aber auch sehr effizient: So habe ich in der VT-Ausbildung meine Spinnenangst herrlich überwunden.... (Nicht vergessen: was wir unseren Klienten zumuten, sollten wir eigentlich selbst ausprobiert haben!). Auch dazu eine besondere Geschichte. Ein anderer junger Mann (tatsächlich sind die meisten meiner Klienten Männer) hatte eine ausgesprochene Soziophobie, die sich vor allem im ÖV manifestierte. So schaffte er kaum den Weg von Basel nach Laufen (20’ S-Bahn /der IC war völlig unmöglich). Zunächst nahm er bereits beim Bahnhof Basel ein Taxi, dann schaffte er es immerhin von Basel aus, eine Station zu fahren (Fahrdauer eine Minute). Bei ihm koppelte ich die Desensibilisierung unkonventionell mit dem Entspannungsbild, das ebenfalls aus der VT stammt. Ich gliederte auch dieses in 10 Schritte und fragte ihn, was ihm denn helfen würde (welches Bild), um sich zu entspannen. Wie aus der Pistole kam die Antwort «guter Sex mit der Freundin». Beim Aufteilen in zehn Unterschritte haben wir beide viel gelacht (mit Respekt und Würde, nicht ins Lächerliche kippend) und siehe da, nach ein paar wenigen Trainings (er rief mich vom Zug aus an und wir bauten das Entspannungsbild auf), schaffte er den Weg problemlos....

Wie stets wünsche ich Ihnen viel Freude beim Ausprobieren, was zu Ihrem Klienten passt und stehe für Fragen unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!zur Verfügung! Bliibet Si gsund!

 

Hinweise

 

  • Die Mitgliedertagung findet am 18. März 2021, 14.00 – ca. 17.30 Uhr im Bahnhofbuffet Olten statt.
  • Zertifikatsausbildung zum ADHS-Coach von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, Höhere Fachschule für Sozialpädagogik ICP. Ort: Coachingzentrum Olten, Start: 24. 10. 2020
  • Elpos Regionalverein Zürich Glarus Schaffhausen sucht eine Fachperson für die Leitung der Fach- und Beratungsstelle (Stellenbeschrieb: https://www.sfg-adhs.ch/dateien-veranstaltungen/741-60-stellenausschrieb-2020/file.html)0
  • Podcast zum Thema «Unaufmerksame und hyperaktive Kinder in der Schule fördern» speziell für Lehrpersonen.
  • Studie Kinderspital Zürich «Gehirnreifung und Schlaf»: Für diese spannende Studie werden gesunde und mit ADHS diagnostizierte Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 8 und 14 Jahren gesucht.

Weitere Informationen zu den beiden Weiterbildungen finden Sie auf unserer Homepage (Veranstaltungen): https://www.sfg-adhs.ch/