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ADHS Aktuell

Editorial

Der dritte Newsletter 2022 steht ganz im Zeichen von «ADHS und psychotherapeutische Behandlung». «Wenn-Dann-Pläne», multimodale Behandlungsansätze und die Zusammenarbeit von Psychotherapeut*innen und Coaches während einer Behandlung werden ausgeführt.

Fabian Grolimund und Stefanie Rietzler stellen in ihrem Beitrag «Wenn-Dann-Pläne» vor, die sich als wirksame Möglichkeit zur Impulskontrolle erwiesen haben, gerade wenn ADHS-betroffene Kinder und Jugendliche sich in einem Umfeld bewegen, in dem eine beschränkte Mitwirkkraft des Umfeldes gegeben ist.

Der zweite Beitrag von Sophie Beck, Nina Waber, Kathrin Hug-Riesen und Dr. med. Andrea Höberth beschäftigt sich mit multimodalen Behandlungsansätzen bei ADHS im Erwachsenenalter und beschreibt verschiedene Richtungen der therapeutischen Möglichkeiten. Es wird für ein multimodales Setting der Ressourcenaktivierung plädiert.

Ursula Ammann widmet sich in ihrem neuesten und bedauerlicherweise letzten Beitrag der Serie «ADHS Analog» der Zusammenarbeit von Psychotherapeut*innen und Coaches. Die Wichtigkeit des Austausches zwischen Coaches und Psychotherapeut*innen wird betont und regelmässige «runde Tische» oder gemeinsame «Standortgespräche» vorgeschlagen. Wir möchten uns an dieser Stelle herzlich bei Ursula Amman für Ihr Engagement bedanken.

Hinweis in eigener Sache: Im letzten Newsletter fehlten aufgrund eines Versehens beim ersten Artikel «Weiterentwicklung der Invalidenversicherung, Neuerungen für Jugendliche und Erwachsene mit ADHS unter besonderer Berücksichtigung versicherungsmedizinischer Aspekte» die Namen des Autors und der Autorin, Dr. med. Detlev Blocher, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Teamleiter RAD, IV-Stelle Kanton Bern, Cornelia Siegel, Teamleiterin und stv. Bereichsleiterin Eingliederungsmanagement, IV-Stelle Kanton Bern. Wir bedauern diesen Fehler und entschuldigen uns dafür.

Zum Schluss finden Sie ein paar Veranstaltungshinweise so vor allem auf unsere spannende Tagung zum Thema «Transition» am 9. März 2023. Wir freuen uns auf Ihre Anmeldung.

Wir wünschen Ihnen und Ihren Familien einen guten Rutsch ins neue Jahr und grüssen Sie freundlich.

SFG ADHS, Dr. Susanne Kempf, Geschäftsstelle

Wenn-Dann-Pläne: eine wirksame Möglichkeit zur Impulskontrolle
 

Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund sind Psychologen, Autoren („Erfolgreich lernen mit ADHS“, „Lotte, träumst du schon wieder?“) und leiten gemeinsam die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Mehr zu ihrer Arbeit erfahren Sie unter: www.mit-kindern-lernen.ch

Was können wir in Beratung und Therapie tun, damit sich ADHS-betroffene Kinder und Jugendliche in Kontexten wie der Schule anders verhalten? Sich beispielsweise besser konzentrieren, mit der Arbeit beginnen, bei einer Provokation nicht aus der Haut fahren?

Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Therapeutische Interventionen bei ADHS bauen oft darauf auf, dass das Umfeld mitwirkt. So werden beispielsweise die Eltern dazu angehalten, erwünschtes Verhalten zu loben oder mittels Verstärkerpläne zu belohnen.

Wir können aber gerade bei Therapiezielen, die sich auf das schulische Umfeld beziehen, nicht immer davon ausgehen, dass eine Zusammenarbeit mit Lehrkräften, Heilpädagoginnen etc. möglich ist.

Wie kann es uns hier gelingen, mit Kindern an ihren Zielen zu arbeiten?

Eine hilfreiche Möglichkeit bieten Wenn-dann-Pläne. Diese schließen die Lücke zwischen Zielen und Handlungsabsichten und dem tatsächlichen Handeln.

Sie bestehen aus einem Ziel (z.B. Ich will mich besser organisieren können. / Ich möchte mit meiner Wut konstruktiver umgehen) und mehreren Wenn-Dann-Sätzen, die diesem Ziel dienlich sind, z.B. („Immer wenn ich mit einer Hausaufgabe fertig bin, dann stecke ich sie gleich in meinen Schulranzen.“, „Immer wenn das Abendessen vorbei ist, dann nehme ich den Stundenplan zur Hand und packe den Schulranzen für den nächsten Tag.“, „Immer wenn die Lehrerin die Hausaufgaben an die Tafel schreibt, dann nehme ich mein Hausaufgabenheft und schreibe es ab.“ / „immer, wenn mich jemand ärgert, dann sage ich laut und deutlich: Hör auf!“).

Mehrere Studien von Gawrilow und Kollegen zeigen, dass der Einsatz von Wenn-Dann-Plänen sogar stark impulsiven Kindern mit einer ADHS-Diagnose dabei helfen kann, sich selbst besser zu steuern. So ließen sie Kinder mit und ohne ADHS im Labor Mathematikaufgaben lösen. Immer wieder wurden die Kinder durch einen Filmausschnitt von der Arbeit abgelenkt. Vorab hatte man die Kinder per Zufall einer von drei Gruppen zugeteilt:

Gruppe 1 wurde dazu angeleitet, sich für die Arbeit ein allgemeines Ziel zu setzen: „Ich will mich nicht ablenken lassen.“

Gruppe 2 formulierte einen positiv formulierten Wenn-Dann-Plan, der ihnen zeigte, was sie in der kritischen Situation tun können: „Immer wenn der Film kommt, dann konzentriere ich mich wieder auf meine Aufgabe“

Gruppe 3  prägte sich einen allgemein formulierten Plan ein, der sie darauf hinwies, was sie in der Problemsituation unterlassen sollten bzw. wie sie ihr Verhalten hemmen können: „Immer wenn der Film erscheint, dann beachte ich ihn nicht / ignoriere ich ihn.“

Es zeigte sich, dass Kinder, mit denen man im Vorfeld einen Wenn-dann-Plan erarbeitet hatte, sich am wenigsten ablenken ließen. Der positiv formulierte Plan („Immer wenn der Film kommt, dann konzentriere ich mich wieder auf meine Aufgabe“) zeigte die beste Wirkung auf die Aufmerksamkeitsleistung - auch bei den Kindern mit ADHS.

Um die Ergebnisse auf den Schulalltag zu übertragen, führte dieselbe Forschergruppe eine Untersuchung in einer Schule durch. Dabei wurden Lehrpersonen dazu angehalten, mit ihrer Klasse ein kurzes Training zu absolvieren. In einem ersten Schritt wählte jedes Kind ein Ziel für den Unterricht aus, welches mit einer Verbesserung der Selbststeuerung zu tun hatte (z.B. ich möchte im Unterricht besser zuhören. / Ich möchte mich besser konzentrieren können. / Ich mache weniger Krach.). Ein Teil der Kinder bekam im gleichen Zug zudem die Möglichkeit, einen Wenn-dann-Plan zu ihrem Ziel zu erarbeiten, z.B. „Immer wenn der Lehrer mich anschaut, dann höre ich wieder zu.“ Alle Kinder gestalteten ein Merkkärtchen für ihr Pult mit der Zielsetzung (und ihrem Wenn-Dann-Plan). Nach 14 Tagen zeigte sich, dass die Zielsetzung alleine keine Verbesserung der Selbststeuerung mit sich brachte. Langfristig konnten die besten Ergebnisse erzielt werden, wenn die Kinder zuerst ein Ziel auswählten und darauf achteten und in einem zweiten Schritt 14 Tage später entsprechende Wenn-Dann-Pläne formulierten, mit denen sie zukünftig darauf vorbereitet waren, dieses Ziel zu erreichen. 

Tipp: Formulieren Sie mit dem Kind nicht, was es nicht mehr tun möchte, sondern, was es stattdessen tun will

Wenn wir mit Kindern arbeiten, die sich schlecht steuern können, sehen die Bezugspersonen meist das, was ein Kind nicht mehr tun sollte: es soll nicht mehr in den Unterricht rufen, weniger Lärm machen, während der Schulstunde nicht aufstehen oder auf dem Pausenhof nicht zuschlagen, wenn es provoziert wird. Kindern fällt die Umsetzung leichter, wenn wir mit ihnen gemeinsam überlegen, was sie stattdessen in der jeweiligen Situation tun könnten, z.B.:

  • „Immer wenn mir eine Antwort einfällt, dann melde ich mich und warte, bis ich aufgerufen werde.“
  • „Immer wenn die Lehrerin sagt: „Markus, sei ruhig!“, dann presse ich meine Lippen aufeinander und bin still.“
  • „Immer wenn ich hibbelig werde, dann balle ich zweimal die Fäuste.“
  • „Immer wenn Tobias mich im Unterricht anquasselt, dann sage ich „sag es mir in der Pause“.
  • „Immer wenn Dominik etwas Blödes zu mir sagt, dann sage ich „An dir mache ich mir nicht die Finger schmutzig“, drehe mich um und gehe.

Sobald wir uns Gedanken dazu machen, was das Kind in der entsprechenden Situation stattdessen tun sollte, nehmen wir seine Fortschritte in diesem Bereich auch eher wahr. Wir können Lehrkräften mitteilen, dass wir mit dem Kind an diesem Punkt arbeiten, damit diese kleine Veränderungen sehen und zurückmelden.

Haben Sie Geduld, falls das Kind in alte Muster zurückfällt

Bereits Walter Mischel entdeckte in seinem Marshmallow-Experiment, dass Kinder weniger Selbstkontrolle aufbrachten, wenn sie kurz vor dem Experiment gebeten wurden, an etwas trauriges zu denken. Hielt er die Kinder dazu an, sich etwas Lustiges oder Schönes vorzustellen, konnten sie sich deutlich besser steuern. Aus der bildgebenden Forschung wissen wir, dass emotionaler Stress die Funktionsweise des präfrontalen Kortex beeinträchtigt -also ebendiesen Hirnbereich, der unser rationales, wohlüberlegtes Handeln steuert. „Gut automatisierte Programme“ übernehmen die Kontrolle über uns. Wir reagieren eher aus dem Bauch heraus und fallen leichter wieder in alte Muster zurück. Man wird lauter, obwohl man sich vorgenommen hatte, ruhig zu bleiben. Man isst die Tafel Schokolade, obwohl man eigentlich auf Diät ist.

Wer auch unter Stress dazu in der Lage sein möchte, sich selbst zu steuern, muss das neue Verhalten gut einschleifen. Dabei ist es nützlich, wenn das Verhalten an eine spezifische Situation gekoppelt wird. Auf diese Weise kann es besonders gut automatisiert werden – mit der Zeit muss man nicht mehr bewusst darüber nachdenken. Wenn-Dann-Pläne erfüllen diese Funktion. Sie koppeln eine Handlungsabsicht an eine spezifische Situation, sodass eine neue Routine aufgebaut wird:

  • Immer wenn ich an einer Prüfung nervös werde, dann sage ich mir «eine Aufgabe nach der anderen» und atme einmal tief durch.
  • Immer wenn mich die Lehrerin ermahnt, dann konzentriere ich mich sofort wieder auf die Aufgaben und arbeite weiter (anstatt zu diskutieren oder zu widersprechen).

Bis diese Wenn-Dann-Pläne eingeschliffen sind, benötigt das Kind Zeit und jede Menge Übung. Es ist hilfreich, wenn Sie jeweils nur einen Plan aufs Mal mit dem Kind üben. Sie können das Kind dazu anleiten, sich die Situation mehrmals bildlich vorzustellen und für sich zu imaginieren, wie es sich im entscheidenden Moment die richtige Anweisung gibt.

Falls die Lehrkraft des Kindes zur Zusammenarbeit bereit ist, ist es besonders hilfreich, wenn sie das Kind an seinen Plan erinnert und ihm positive Rückmeldungen gibt, sofern es ihm gelingt.

Wie das geht, zeigt das Video «der Wolf kann nicht warten» - es bietet Lehrer/innen zudem eine Kurzzusammenfassung der Methode:

https://www.youtube.com/watch?v=nPMOG952AkE

Literaturtipps:

Weitere Studien und hilfreiche Tipps für die Umsetzung von Wenn-Dann-Plänen in der Praxis finden sich im Buch «Störungsfreier Unterricht trotz ADHS: Mit Kindern und Jugendlichen Selbstregulation trainieren» von Caterina Gawrilow, Lena Guderjahn und Andreas Gold.

Im Buch «Lotte, träumst du schon wieder?» von Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund finden besonders Kinder vom unaufmerksamen Erscheinungsbild eine Anleitung, um sich im Unterricht besser zu fokussieren. Hasenmädchen lernt von der weisen Wölfin Sakiba den Wolfsblick kennen und erinnert sich mittels Wenn-Dann-Plänen, sich im richtigen Moment bewusst zu konzentrieren.

Multimodale Behandlungsansätze bei Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Erwachsenenalter

M. Sc. Sophie Maria Beck, Neuropsychologin i.A./DAS in Neuropsychology UZH, Praxis für Neuropsychologie und Psychotherapie, Basel, M. Sc. Nina Jael Waber, Psychotherapeutin i.A., Privatklinik Meiringen, Kathrin Hug-Riesen, Dipl. Feldenkrais Therapeutin, EMR anerkannt und Dr. med. univ. Andrea Höberth, Oberärztin, Privatklinik Meiringen

Die Psychotherapie bei Erwachsenen mit Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) hat in der bisherigen Forschung bezüglich einer langfristigen Lebensqualität der Betroffenen eine wichtige Rolle gespielt. Bedeutsame Ziele in der Psychotherapie sind je nach Lebenssituation die Integration von Erlebnissen mit Mitmenschen und Misserfolge durch Leistungsdruck, die Akzeptanz des selbst empfundenen «Anders- Seins», die Behandlung von Komorbiditäten (u.a. Angststörungen, Depression, Substanzkonsum, Schlafstörungen) und Prävention von destruktiven Verhaltensweisen sowie das Erlernen eines leichteren Umganges mit ADHS-Symptomen und die Stärkung von Ressourcen.[1]¦[2] 

Zu Beginn einer Psychotherapie stehen oft psychoedukative Elemente im Vordergrund.[3] Die präzise Thematisierung von mit ADHS verbundenen Schwächen und Stärken sowie deren Einfluss auf verschiedene Lebensbereiche (Familie, Sozialkontakte, Beruf und Freizeit) ist für Erwachsene mit ADHS oft hilfreich, um vergangene Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen besser einordnen zu können und sich zukünftiger Situationen in diesem Wissen gedanklich bewusst zu werden. Die Psychotherapie ist nicht alleiniges Feld nebst der oft medikamentös unterstützten Behandlung der adulten ADHS.  Anhand der bereits gut erforschten Wirkungsweisen von Stimulanzien können bei ADHS relevante physiologische Prozesse auch mit alternativen Methoden angegangen werden. In der Literatur wird beschrieben, dass gerade bei meditativen und körperbasierten Verfahren dieselben neuronalen Netzwerke stimuliert und diesbezüglich auch die Regulation von Neurotransmitter-Systemen (u.a. Dopamin und Noradrenalin) bewirkt werden, wie bei medikamentösen Ansätzen[4]¦[5].

 

  

Gerade neben den kognitiv und emotional angesprochenen Methoden der Psychotherapie fördert der Miteinbezug anderer Fachdisziplinen eine Ausweitung der vielen Ressourcen, die ADHS- betroffene Erwachsenen in sich vereinen. Hierbei spielen insbesondere für die Kernsymptomatik der ADHS (Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Hyperaktivität und innere Unruhe, Impulsivität) meditative Ansätze und Achtsamkeitstrainings, körperbasierte Verfahren, Bewegungsmöglichkeiten und kreativ-künstlerische oder musikalische Tätigkeiten eine entscheidende Rolle. Den betroffenen Individuen soll ein umfassendes multimodales Setting angeboten werden, damit die oft intensiven Emotionen, Gedanken, Wahrnehmungen und Körperempfindungen bestmöglich Ausdruck und somit innere Verarbeitung finden können. Im Kanalisieren von innerer Unruhe in einen selbstförderlichen und stärkenden Umgang werden Bewegungs-, Tanz-, Theater-, Kunst- und andere kreative Ansätze zur Sprache gebracht. Gleichzeitig werden selbstdestruktive Verhaltensweisen (u.a. Substanzkonsum, Selbstabwertung) hinterfragt. Im Fokus aller multimodalen Therapien steht die Hinführung zur besseren Selbstwahrnehmung und Möglichkeit kreativen Schaffens, was gerade bei ADHS-Betroffenen dank einer vielseitigen und offenen Persönlichkeit gut Anklang findet[6]. Dies zeigt sich in der Bewegungskoordination und Zentrierung in Körper- und Tanztherapie, Eigenreflexion in der Psychotherapie, Alltagsgestaltung und Struktursuche innerhalb der Ergotherapie oder in systemischen Ansätzen zur Wahrnehmung der eigenen Person in Familie, dem Freundeskreis oder Arbeitsfeld.

In der Gesprächstherapie stehen je nach Lebenssituation unterschiedliche Themen im Fokus: das Bremsen von Impulsen, der Umgang mit Autoritäten, der oft stark ausgeprägte Gerechtigkeitssinn und das Thema von Grenzwahrnehmung und -überschreitung. Die ressourcenorientierte Stärkung und Potenzialentfaltung von oft hinter den Fähigkeiten zurückgebliebenen Leistungen stellt auch hinsichtlich der Entwicklung eines gesunden Selbstwertes ein bedeutendes Ziel der Psychotherapie dar. Zudem werden eigene Wertvorstellungen und persönliche Ziele in verschiedener Hinsicht thematisiert.

Vielen ADHS betroffenen Menschen ist die Suche nach Stimulation gemeinsam, wobei Langeweile oft schlecht toleriert werden kann. Damit Betroffene auch mit äusseren monotonen Situationen einen leichteren Umgang finden, kann die Beschäftigung mit inneren Themen und kreativer Betätigung eine wichtige Erfahrung sein.

In der Ergotherapie werden konkrete Alltagsstrategien erlernt: Angehen von administrativen Angelegenheiten, das Anbringen von Gedächtnisstützen, die effizientere Planung von Alltagstätigkeiten und Pflichten, Zeit- und Pausenmanagement, das Aufstellen einer Tagesstruktur. Eine optimale Passung von sicheren und klaren äusseren Strukturen, innerhalb welcher ein Mensch doch frei entscheiden und einen kreativen Weg finden kann, fördert die Selbstwirksamkeit der von ADHS betroffenen Erwachsenen. Dies hat auch in der Ergotherapie wichtige Implikationen für die Berufswahl und die Gestaltung des Alltags von ADHS betroffenen Erwachsenen.[7] Letztere profitieren nicht selten von einem wohlwollenden und verständnisvollen Umfeld, was den Betroffenen ermöglicht, Verantwortung zu übernehmen und positive Rückmeldungen des Umfeldes wiederum als stark motivierend und potenzialentfaltend erleben zu können[8].

Die Körpertherapie fördert die differenziertere Wahrnehmung der gerade bei ADHS oft sensiblen und unmittelbaren Verbindung von Körper und Psyche. Nicht selten finden sich bei ADHS gehäuft komorbide körperliche Erkrankungen (Migräne, Nackenverspannungen, destruktive Essgewohnheiten, Magen-Darm-Probleme) wie auch Koordinationsprobleme, welche Fein- und Grobmotorik betreffen können. Fest verankerte Stressmuster, die sich körperlich in Anspannungen, Schmerzen und Körpersymptomen niederschlagen, können durch körperbasierte Methoden angegangen werden. Auffälligkeiten in der frühkindlichen Entwicklung (das Erlernen von Motorik und Sprache) sind oft mit ADHS vergesellschaftet und können in der Körpertherapie durch neue und leichtere Bewegungsabläufe aufgezeigt und variiert werden. Die Feldenkrais Methode beispielsweise fokussiert auf die Bewusstseinsförderung über den Zusammenhang von Bewegung und ihrer Organisation durch das neuromuskuläre System[9]. So eröffnet sich den Betroffenen meist ein weiteres Feld an Handlungsmöglichkeiten, was sich wiederum positiv auf den Selbstwert auswirken kann. Da gerade ADHS betroffene Erwachsene oft eine feinfühlige Wahrnehmung gegenüber Schwächeren aufzeigen, sich selbst jedoch oft nicht im gleichen Ausmass begreifen, kann beispielsweise die Feldenkrais Methode hier einen wichtigen Grundstein im Selbstverständnis legen.[10] Dieses Thema wiederum kann die Psychotherapie mit der Förderung einer differenzierten Selbst- und Fremdwahrnehmung aus kognitiver und emotionaler Sicht aufgreifen. Diese methodenübergreifenden Ansätze spiegeln das weite Feld an Möglichkeiten, das sich in einer offenen Therapiehaltung im Sinne einer Selbstwirksamkeitsförderung bei ADHS-Betroffenen ergeben kann und das hinsichtlich der Nachhaltigkeit von Therapieerfolgen lohnend erscheint. Zudem macht die bisherige Literatur zu ADHS im Erwachsenenalter darauf aufmerksam, dass sich ein multimodaler Therapieansatz am effektivsten ausgewirkt hat, was auch auf die weitere Notwendigkeit der Erforschung von alternativen Behandlungansätzen zum besseren Verständnis der dahinterliegenden neurophysiologischen Prozesse hinweist[11].

ADHS-Betroffene profitieren von Abwechslung und Vielseitigkeit sowie immer wieder gestellten neuen Herausforderungen. Auch deshalb erscheint ein multimodales Setting in der Ressourcenaktivierung bei ADHS betroffenen Erwachsenen notwendig.

 

[1] B. Hesslinger, A. Philipsen, H. Richter, Psychotherapie der ADHS im Erwachsenenalter: Ein Arbeitsbuch. Hogrefe Verlag, Göttingen, 2004.

[2] A.P. Lam, S. Matthies, E. Graf et al., Long-term Effects of Multimodal Treatment on Adult Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder Symptoms- Follow-up Analysis of the COMPAS Trial. JAMA Network Open, 2(5), 2019.

[3] P. Altherr, ADHS bei Erwachsenen: Fallbuch für Betroffene für zu Hause und bei der Arbeit. Hartung-Gorre Verlag Konstanz, 2021.

[4] A. L. Chimiklis, V. Dahl, A. P. Spears, K. Goss, K. Fogarty, A. Chacko, Yoga, Mindfulness, and Meditation Interventions for Youth with ADHD: Systematic Review and Meta-Analysis. Journal of Child and Family Studies 27, 3155–3168 (2018). 

[5] P. L. A. Schoenberg, S. Hepark, C. C. Kan, H. P. Barendregt, J. K. Buitelaar, A. E. M. Speckens, Effects of mindfulness-based cognitive therapy on neurophysiological correlates of performance monitoring in adult attention-deficit/hyperactivity disorder. Clinical Neurophysiology, 125 (7), 1407-1416 (2014).

[6] L. A. Kurtz, Understanding Controversial Therapies for Children with Autism, Attention Deficit Disorder, Other Learning Disabilities: A Guide to Complementary and Alternative Medicine. Jessica Kingsley Publishers, London and Philadelphia, 2008.

[7] T. Pruschmann, ADHS im Erwachsenenalter – Von Hitzköpfen und Rasern. Ergopraxis, 4(1), 20-23 (2011).

[8] H. Lachenmeier: Mit ADHS erfolgreich im Beruf: So wandeln Sie vermeintliche Schwächen in Stärken um. Springer, Berlin, 2021.

[9] M. Chivers, Dyslexia and Alternative Therapies. Jessica Kingsley Publishers, London and Philadelphia, 2006.

[10] S. Elgelid, C. Kresge, The Feldenkrais Method: Learning through movement. Handspring Publishing Limited, 2021.

[11] L. Schmalzl, C. E. Kerr, Editorial: Neural Mechanisms Underlying Movement-Based Embodied Contemplative Practices, Frontiers in Human Neuroscience. 10, 169 (2016).

 

ADHS Analog

In unserer Serie schreibt Ursula Ammann, MAS Supervision und Coaching ZHAW und Studienleiterin icp über analoge Methoden, die sich im Therapie- und Coachingbereich bewährt haben.

Wie Psychotherapie und Coaching Hand in Hand arbeiten

(ua) Diesmal gibt es ein etwas anderes ADHS Analog – mit dem ich mich nach all den Jahren gerne von dieser Kolumne verabschiede. Es hat Spass gemacht, Euch in diverse analoge Methoden hinein schauen zu lassen und ich danke auch für alle Rückmeldungen und alle Inspiration! Bleibt dran!

Seit vielen Jahren habe ich das Vorrecht als Coach mit ADHS Betroffenen unterwegs zu sein -seit ebenfalls einigen Jahren habe ich im Mandat das Vergnügen, jedes Jahr 22 Studierende in einem Nachdiplomsstudium auf dem Weg zum ADHS Coach ICP auszubilden. Immer wieder ist da auch das Thema der Abgrenzung zur Psychotherapie.

Gerne brauche ich da ein Bild aus dem Detailhandel. Man sprich dort von flachen, breiten Sortimenten und engen, tiefen Sortimenten. Migros zB. Ist eine Vertreterin der ersten Gruppe. Man findet da Schokolade, Getränke, Körperpflegeprodukte, Socken und sogar Spielsachen in einem durchschnittlichen MM. Wenn ich aber gerne jene leckere Schoggi mit ganzen Mandeln und in Dunkel möchte, oder noch spezifischer die mit den Himbeeren in weiss – dann gehe ich zu Läderach. Dort finde ich ausser Schokoladenspezialitäten nichts anderes. Er hat ein enges, aber tiefes Sortiment.

Genauso mit der Psychotherapie (PT). Immer noch studiert ein Psychologe* oder Psychiater* in der Regel 4-6 Jahre weiter für die PT Anerkennung. Für ADHS Betroffene haben sich dabei die Richtung der Verhaltenstherapie und der Schematherapie als besonders hilfreich erwiesen.

Als Coaches machen wir Anleihen an verschiedene Therapierichtungen – bzw. vertiefen uns in einige der bewährten Tools. Wir erwerben in guten Ausbildungen1 einiges Wissen an psychischen und somatischen Zusammenhängen, schauen, mit welchen Tools wir gut arbeiten können und setzten uns mit den Grenzen unseres Tuns auseinander. Diese Grenzen sind je nach Vorbildung sehr unterschiedlich. Selbstverständlich haben unsere Studierenden, die aus den Bereichen Medizin und Psychologie kommen ein anderes Vorwissen, als jene die aus den Pädagogischen Hochschulen zu uns finden. Das gilt es zu Erkennen und sich mit der eigenen Rolle auseinander zu setzten.

Coaching ist ein Begriff aus der Wirtschaft und dem Sport. Als Coach (Kutscher) bekommt man vom Klienten* (PT:Patienten*) einen Auftrag – manchmal auch von der IV oder dem Arbeitgeber. Die Coachinganliegen drehen sich sehr oft um den Arbeits- oder Schulkontext. Da geht es um das Erreichen von kurz-, mittel- und langfristigen Zielen. Diese Ziele müssen eine bestimmte Messbarkeit und damit eine Überprüfbarkeit haben. Ganz wichtig ist neben der Sozial-, Fach- und Selbstkompetenz des Coaches,  dessen Methodenkompetenz. Wir verfügen im Idealfall über einen grossen Methodenkoffer an analogen Skills (s. meine Kolumne über die letzten Jahre), die wir zielgerichtet und klientenangepasst einsetzen.

Als Coaches bekommen wir unsere Aufträge in der Regel von der IV, von Arbeitgebern aber auch von Betroffenen direkt. Coaching ist keine Krankenkassenleistung (leider!!! -  obwohl es mittlerweilen als drittes Standbein der ADHS Therapie Goldstandard ist) und wenn kein anderer Kostenträger vorhanden ist, müssen unsere Klienten unsere Rechnung selbst bezahlen. Dabei kostet die Coachingstunde zwischen 120.-- - 150.—(bei Beträgen darüber müsste man gut hinschauen, weshalb dies so ist....). Meistens drehen sich die Coachingaufträge um konkrete Anliegen, wie zB Joberhalt, Umgang mit herausfordernden Situationen, Elterncoaching etc. Eine Besonderheit ist dabei das Coaching während der beruflichen Erstausbildung, das auch Jugendliche via IV zugute haben, bei denen es eine Spätdiagnose gab (Voraussetzung: die Diagnose muss IV relevant sein, was ADHS ist, und der Coach muss IV anerkannt sein).

Es ist also ein zielorientierter Auftrag, startend im «Hier und Jetzt». Als Coaches schauen wir durchaus auch an, wo solche Muster in der Vergangenheit schon vorkamen, bzw. was an Prägungsanteilen zur Zielerreichung hinderlich sein könnte. Die Bearbeitung der Muster und Prägungsanteile obliegt dann aber den Psychotherapeuten. Und hier müsste das Unterwegssein Hand in Hand gehen. Dies kann in regelmässigen «runden Tischen» oder «Standortgesprächen» - aber auch in Intervision und persönlichem Austausch geschehen. Dabei ist wichtig, dass nichts hinter dem Rücken der Klienten/Patienten passiert, sondern dass diese transparent über unsere von ihnen autorisierten Kontakte informiert werden. Dann kann man auf Augenhöhe zum gleichen Ziel hin unterwegs sein. Nicht als Konkurrenz, sondern als bereichernde Ergänzung, die schlussendlich entlastend für die Fachpersonen und zielführend für die Menschen, die sich mit uns auf den Weg machen, ist. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Euch allen ein gutes «miteinander unterwegs sein»!

1 Was zeichnet eine gute Ausbildung aus? Zum einen sicher die Tatsache, ob sie von der SFG-ADHS  und allenfalls der IV als solche anerkannt ist – zum anderen aber auch die Anzahl und Profession der Dozierenden. Wer unterrichtet was und welche Befähigung hat er/sie dazu. Das kann ein guter Gradmesser sein.

 

Veranstaltungshinweise

 

  • Veranstaltung der SFG ADHS
    Voranzeige: 9. März 2023, 14.00 - ca. 16.30 Uhr, Tagung mit anschliessender Mitgliederversammlung in Bern zum Thema «Transition» (Übergang vom Jugendlichen- ins Erwachsenenalter). Die SFG ADHS freut sich, dass sie für diesen Anlass zwei ausgewiesene Experten gewinnen konnte, den international bekannten Prof. Dr. Swaranpreet Singh, Universität Warwick, UK, sowie Dr. med. Stephan Kupferschmid, Chefarzt Adoleszentenpsychiatrie, Integrierte Psychiatrie Winterthur – Zürcher Unterland.

    Auch Nichtmitglieder sind herzlich willkommen.
    Weitere Informationen werden Sie zu gegebener Zeit auf unserer Website www.sfg-adhs.ch finden.

  • Veranstaltungen Dritter

    AG ADHS, 23. März - 26. März 2023, Hamburg, Internationaler Fachkongress ADHS – weiblich

 

Weitere Informationen zu den Veranstaltungen finden Sie auf der Website der SFG ADHS www.sfg-adhs.ch