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ADHS Aktuell

 
Editorial
 
Der aktuelle Newsletter legt den Schwerpunkt auf das Thema ADHS und Autofahren:
  • Felicitas Furrer stellt den Patientenausweise für den Strassenverkehr vor. Dieser erlaubt es ADHS-Betroffenen zu belegen, dass sie ihre Medikamente aus gesundheitlichen Gründen einnehmen.
  • Dr. med. Anna Buadze und Prof. Dr. med. Michael Liebrenz geben eine Übersicht zum Forschungsstand bezüglich ADHS und Autofahren. Sie zeigen, dass ADHS-Betroffene ein höheres Risiko für Verkehrsunfälle aufweisen als Nichtbetroffene, wobei nach neueren Metaanalysen das Risiko weniger stark erhöht ist, als ältere Studien vermuten liessen. Gleichzeitig zeigen die neueren Studien positive Effekte der Medikation auf das Unfallrisiko.
  • Isolde Schaffter-Wieland verdeutlicht, inwiefern die Symptome ADHS-Betroffener das Unfallrisiko erhöhen.
  • Ursula Ammann stellt in ihrer Serie ADHS Analog eine spielerische Variante vor, um sich in Coaching und Therapie schwierigen Fragen anzunähern.
  • Isolde Schaffter-Wieland bespricht zum Schluss das Buch „Verkörperter Schrecken – Traumaspuren in Gehirn, Geist und Körper und wie man sie heilen kann“ von Dr. Bessel van der Kolk.
  • Ganz an Ende finden Sie wie immer Veranstaltungshinweise.
Herzliche Grüsse,
Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund
 
 

Neues aus dem Vorstand

Felicitas Furrer, Geschäftsleiterin SFG ADHS
 
Patientenausweis für den Strassenverkehr
 
Der Vorstand hat einen speziellen Patientenausweis für den Strassenverkehr entworfen. Damit können die ADHS-Patientinnen und Patienten belegen, dass sie ihre (ADHS)-Medi­kamente aus gesundheitlichen Gründen einnehmen müssen.
Der Ausweis ist als PDF-Dokument zum online Ausfüllen konzipiert und umfasst einen kurzen erläuterndem Text sowie den eigentlichen Ausweis als Talon zum Abtrennen (im Kreditkarten­format). 
Zurzeit wird der Ausweis von der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsme­dizin (SGRM) geprüft. Sobald der Text definitiv ist, wird er den Mitgliedern auf der SFG Website im internen Bereich zum Download zur Verfügung gestellt. Die SFG-Mitglieder werden selbstverständlich informiert, sobald der Patentenausweis verfügbar ist. 
 
Informationen und Formular für Reisen mit ADHS-Medikamenten ins Ausland
 
Die SFG hat wiederholt Anfragen zu Auslandreisen mit ADHS-Medikamenten erhalten und deshalb für unsere Mitglieder Informationen zu diesem Thema erarbeitet. Diese werden den SFG-Mitgliedern demnächst zusammen mit Dokumenten und Links auf der SFG-Website zur Verfügung gestellt.
 
Der SFG-Vorstand und die SFG-Geschäftsstelle wünschen Ihnen und Ihren Familien frohe Festtage und alles Gute für das neue Jahr 2019.
 

ADHS im Strassenverkehr

Dr. med. Anna Buadze, Leiterin ADHS Spezialambulanz der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Prof. Dr. med. Michael Liebrenz, Chefarzt des Forensisch Psychiatrischen Dienstes des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Bern, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
 
Einleitung
 
In den Medien wird häufig vor der Einnahme von Stimulantien, insbesondere vor dem Gebrauch von Ritalin® durch Fahrzeuglenker gewarnt. Dabei wird auf einen Personenkreis abgezielt, der diese Substanzen zu rekreationalen Zwecken zum Beispiel im Ausgang missbraucht und anschliessend am Strassenverkehr teilnimmt. Vereinzelt wird auch von Ausweisentzügen berichtet, die wegen der Einnahme von Ritalin® am Steuer vorgenommen wurden (Tagesanzeiger 27.10.2017). Bei PatientInnen die an einer „lege artis“ diagnostizierten ADHS des Erwachsenenalters leiden und sich einer Pharmakotherapie unterziehen, lösen diese Berichte regelmässig grosse Verunsicherung aus. Im klinischen Alltag kann dies bis zum Abbruch einer an sich indizierten Stimulantientherapie führen, da die Betroffenen befürchten, im Rahmen von polizeilichen Strassenverkehrskontrollen in einen Erklärungsnotstand zu geraten, und davor Angst haben, dass ihr Führerausweis „an Ort und Stelle“ eingezogen wird. Häufig ist zudem zu beobachten, dass die individuelle Mobilität einen so hohen Stellenwert besitzt, dass die blosse Möglichkeit einer derartigen Sanktionierung die PatientInnen dazu bewegt, die Medikamenteneinnahme zu hinterfragen. Die Aufklärung über die Risiken der Teilnahme am automobilen Strassenverkehr für PatientInnen mit ADHS, die Psychoedukation der Betroffenen u.a. bezogen auf die Fahrfähigkeit unter dem Einfluss von Stimulantien und die rechtlichen Rahmenbedingungen des Strassenverkehrsgesetzes (SVG) sind daher im klinischen Alltag von unterschätzter, aber grosser Relevanz auch in Hinblick auf die Therapietreue.
 
Fall
 
Eine 32 jährige Ärztin, ehemalige Leistungssportlerin, kam 06/2017 ins Spezialambulatorium für ADHS der PUK Zürich wegen mehrerer Strafbefehle und Führerausweisentzüge aufgrund von Widerhandlungen gegen das SVG (Geschwindigkeitsüberschreitungen aber auch das Überfahren des Rotlichtes). Sie befürchtete, dass deswegen unter anderem die ärztliche Approbation auf dem Spiel stehe. Anamnestisch habe sie während der gesamten Schulzeit, der Aus- und Weiterbildung (Medizinstudium und anschliessende Facharztausbildung) 4-6 Stunden Sport täglich getrieben. Auch heute noch sei sie an den meisten Tagen der Woche sportlich aktiv. Sie verfüge über gute Kompensationsmechanismen im Bereich Organisation „nur noch das Verlieren/Verlegen“ sei „ein wenig problematisch“. Sie habe sich als Beruf ein „absolutes Interessengebiet“ ausgesucht - hier passierten allerdings häufige Fehler im Berichtswesen. Die Einnahme von Noxen oder Medikamenten verneinte sie glaubhaft.
 
Leidensdruck
 
Subjektiv vor allem im oben genannten Bereich. Frau X.Y. berichtet davon, sich trotz jahrelanger Fahrpraxis beim Autofahren nicht unterhalten zu können und Fehler insbesondere dann zu machen, wenn Beifahrer dabei seien und versuchen würden mit ihr zu reden. Ausserdem könne Sie beim Autofahren weder Musik noch Radio hören.
 
Die Neuropsychologische Testung ergab - Auszug aus der Beurteilung: „In den TAP-Untertests geteilte Aufmerksamkeit, Flexibilität und verdeckte Aufmerksamkeitsverschiebung unterlaufen der Probandin überdurchschnittlich viele Fehler. Es bereitet Frau X.Y. Schwierigkeiten zwei unterschiedliche Reize gleichzeitig zu bearbeiten bzw. sich von einem Reiz auf den anderen umzustellen.“
 
E-Mail von Frau X.Y.
 
„Liebe Frau Dr. Buadze, Anbei sende ich Ihnen den Strafbefehl. Mit diesem Strafbefehl wurde natürlich ein bedingter Strafbefehl aktiv, wo ich auch noch 1800 Franken zahlen musste. Ich hatte innerhalb 1.5 Jahren 3 Strafbefehle aufgrund Unachtsamkeit beim Autofahren, d.h. total 10`000 CHF reiner Strafbetrag und dann kamen noch die Anwaltskosten als auch kleinere Bussen hinzu. Retrospektiv erschreckend. Diesen Strafbefehl dürfen Sie gerne anonym weiterverwenden.....“
 
Procedere
 
Psychoedukation, die Einleitung der multimodalen Therapie der ADHS. Pharmakotherapie mit retardiertem Methylphenidat. Seither keine weiteren Verstösse gegen das SVG.
 
Wichtige Aspekte
Begriffe
Fahreignung
 
Allgemeine, zeitlich nicht umschriebene und nicht ereignisbezogene psychisch und physisch genügende Voraussetzung des Individuums zum sicheren Lenken eines Motofahrzeuges im Strassenverkehr. Diese muss stabil vorliegen.  (Handbuch der verkehrsmedizinischen Begutachtung, Haag und Dittmann 2005)
 
Fahrfähigkeit
 
Momentane psychische und physische Befähigung des Individuums zum sicheren Lenken eines Motorfahrzeuges im Strassenverkehr. (Handbuch der verkehrsmedizinischen Begutachtung, Haag und Dittmann 2005)
 
Rechtliche Grundlagen
Melderecht des Arztes
 
Art. 14 Abs. 4 SVG: Jeder Arzt kann Personen, die wegen körperlicher oder geistiger Krankheiten oder Gebrechen oder wegen Süchten zu sicheren Führung von Motorfahrzeugen nicht fähig sind, der Aufsichtsbehörde für Ärzte und der für Erteilung und Entzug des Führerausweises zuständigen Behörde melden
 
Vertrauensärztliche Kontrolluntersuchung (Art. 27 Abs. 1 VZV (Verkehrszulassungsverordnung)
 
 1 Die Pflicht, sich einer vertrauensärztlichen Kontrolluntersuchung zu unterziehen, besteht für:
• a. die folgenden Fahrzeugführer bis zum 50. Altersjahr alle fünf Jahre, danach alle drei Jahre:
– 1. Inhaber eines Führerausweises der Kategorien C und D sowie der Unterkategorien C1 und D1,
– 2. Inhaber der Bewilligung zum berufsmässigen Personentransport nach Artikel 25,
• b. über 70-jährige Ausweisinhaber alle zwei Jahre;
• c. Ausweisinhaber während oder nach schweren körperlichen Beeinträchtigungen durch Unfallverletzungen oder schweren Krankheiten. (www.admin.ch)
 
Störungsspezifische Probleme und aktuelle Erkenntnisse aus der Literatur
 
Als einen der häufigsten Gründe für Verkehrsunfälle in den D-A-CH Ländern wird allgemein die Unaufmerksamkeit des Fahrzeugführers genannt. Verkehrsunfälle und die mit ihnen assoziierte hohe Morbidität und Mortalität, stellen dabei für Gesundheitssysteme im Generellen eine grosse Herausforderung dar. Einige, bereits ältere Studien konnten aufzeigen, dass ADHS-Betroffene ein höheres Risiko aufweisen, in Verkehrsun­fälle verwickelt zu werden. Dieses lässt sich vor allem durch die Kernsymptome der Störung: erhöhte Ablenk­bar­keit und Impulsivität sowie gestörte Aufmerksamkeitsleistung erklären. Von einigen Autoren wurde in diesem Kontext von einem bis zu 2-4 fach erhöhten Risiko im Vergleich zu gesunden Kontrollgruppen berichtet (Barkley,1993; Weiss, 1993; Murpy & Barkley, 1996, 2004; Barkley & Cox, 2007;), allerdings wiesen diese Studien aufgrund von kleinen Teilnehmerzahlen, dem Ausschluss weiblicher Probanden etc. doch einige erhebliche Limitationen auf.
Eine Forschungsgruppe um Zheng Chang veröffentlichte dann 2014 eine auf Daten des schwedischen National­registers basierende Studie mit Angaben von 17‘408 ADHS betroffenen Personen. Diese konnten das höhere Risiko sowohl für männliche (HR=1.47) als auch für weibliche Probanden (HR=1.45) zwar bestätigen, wiesen gleichzeitig aber auf signifikante Effekte der Medikation in Hinblick auf die Reduktion der Unfallhäufigkeit bei männlichen Patienten hin (Chang et al; 2014 Serious transport accidents in adults with attention-deficit/hyper­activity disorder and the effect of medication: a population-based study).
Eine neuere Untersuchung aus dem Jahr 2017, welche die Daten von 2'319’450 ADHS-Patienten analysierte, konnte die positiven Effekte der Pharmakotherapie auf einen Rückgang der Unfallhäufigkeit beider Geschlechter noch klarer aufzeigen: Männliche Patienten hatten in den Monaten der Medikamenteneinnahme ein um 38% tieferes Risiko an Verkehrsunfällen beteiligt zu sein verglichen mit den Monaten in denen keine Medikation erfolgte,  weibliche Patienten wiesen in derselben Konstellation sogar ein um 42% tieferes Risiko auf. (Chang et al; 2017 Association between medication use for attention-deficit/hyperactivity disorder and risk of motor vehicle crashes).
Letztlich soll an dieser Stelle noch eine dritte Publikation Erwähnung finden: Im Rahmen einer retrospektiven Kohortenstudie basierend auf den Daten von 2‘479 ADHS betroffenen Adoleszenten und jungen Erwachsenen und 15‘865 Personen ohne ADHS Diagnose konnte gezeigt werden, dass 6 Monate nach Erreichen des Mindest­alters für den Führerausweis ADHS-Patienten zu 35 % seltener im Besitz eines solchen waren. Bei Personen mit Führerschein verunfallten 764 von 1785 mit ADHS (42,8%) und 4715 von 13‘221 ohne ADHS (35,7%) während des Studienzeitraums. Das adjustierte Risiko für den ersten Unfall bei ADHS-Fahrern war damit 1,36-mal höher als bei Patienten ohne ADHS (95% CI, 1,25-1,48) und variierte nicht nach Geschlecht, Alter beim Erwerb des Führerausweis oder nach Dauer des Besitzes der Fahrerlaubnis (Curry et al; 2017 Motor vehicle crash risk among adolescents and young adults with attention-deficit/hyperactivity disorder).
 
Schlussfolgerungen und klinische Relevanz
 
Patienten, welche von ADHS betroffen sind, erlangen später den Führerschein (häufig sind mehr Fahrstunden und Prüfungsanläufe notwendig) und weisen ein höheres Risiko für die Verwicklung in Verkehrsunfälle auf. Frühere Studien, nach denen von einem bis zu 2-4 fach erhöhten Risiko im Vergleich zu gesunden Kontroll­gruppen berichtet worden waren, erhärteten sich zwar nicht, dennoch ist das HR zwischen 1.45 und 1.47 ange­siedelt. Der Sensibilisierung, Aufklärung und Psychoedukation kommt deshalb im klinischen Alltag eine grosse Bedeutung zu.
Patienten sollten darüber informiert werden, dass eine Pharmakotherapie das Risiko für Verkehrsunfälle signifi­kant senkt, wobei retardierte Präparate vorteilhafter sind, um während der Fahrt auftretenden „Reboundeffek­ten“ vorzubeugen. Insbesondere, wenn Betroffene am Individualverkehr in Zeiten mit hohem oder sehr hohem Verkehrsaufkommen teilnehmen, sollte Patienten zur Medikamenteneinnahme geraten werden, da diese erwie­senermassen zu einer Leistungsverbesserung („impoving driving skills“) führt. Auf langen Reisen sollten genügend Pausen mit Übungen (kurze intensive Bewegungen an der frischen Luft) eingeplant werden. In moder­nen Fahrzeugen stehen hier zur Unterstützung auch elektronische Hilfen, wie z.B. Aufmerksamkeits-Assistenten zur Verfügung, die eine nachlassende Konzentration detektieren können und für deren Warnungen PatientInnen sensibilisiert werden sollten. Im Weiteren wird in der Literatur eine maximale Reduktion der Ablenkung (Distraktoren) empfohlen: So sollen Betroffene z.B. ihre Beifahrer um Ruhe bitten, keine laute Musik hören und das Telefon am Steuer gar nicht – auch nicht mit der Freisprecheinrichtung – nutzen. Zudem sollten die betroffe­nen Fahrer die Augen nicht von der Strasse nehmen, auch dann nicht, wenn sie direkt von jemanden ange­sprochen werden. (Barkley et al. 2004; Cox et al. 2000 (Effect of stimulant medication on driving performance of yound adults with ADHS: db pl.controlled trial), R.A. Barkley, ADHD in Adults, 2010)).
Bezüglich der rechtlichen Rahmenbedingungen des SVG ist festzuhalten, dass Artikel 16d den Entzug des Führerausweis auf unbestimmte Zeit regelt und unter Ziffer 1 Buchstabe a ausführt «Der Lernfahr- oder Führerausweis wird einer Person auf unbestimmte Zeit entzogen, wenn: ihre körperliche und geistige Leistungsfähigkeit nicht oder nicht mehr ausreicht, ein Motorfahrzeug sicher zu führen.» Im klinischen Alltag ist eine generelle Verneinung der Fahreignung durch die Behörden bei Betroffenen mit ADHS ohne Komorbidität nie Diskussionsgegenstand geworden. Bezüglich der Fahrfähigkeit können Betroffene darauf hingewiesen werden, dass die bestimmungsgemässe Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels am besten ausgewiesen wird, indem die PatientInnen ein Begleitschreiben der Behandlerin oder des Behandlers mitführen. 
 

ADHS und Autofahren – ein Risiko?

Isolde Schaffter-Wieland
 
Der renommierte amerikanische Professor für Psychiatrie Russell A. Barkley gilt international als führender ADHS-Experte. In seinem Werk „Das grosse Handbuch für Erwachsene mit ADHS“ widmet er ein ganzes Kapital dem Thema Autofahren, Gesundheit und Lebensweise. Dabei geht es ihm darum, Risiken zu erkennen und auszuschalten. Seine Ausführungen sind nicht nur aufklärend, sondern auch sehr authentisch, weil er darin eindrücklich den tödlichen Selbstunfall seines betroffenen Zwillingsbruder Ronald beschreibt. „Vielleicht bekommt sein tragischer Tod einen Sinn, wenn Sie und andere Menschen mit ADHS eine Lehre daraus ziehen können.“ Die beiden waren zweieiige Zwillinge und Ron hatte seit seiner frühen Kindheit eine mittlere bis schwere ADHS, die bis zu seinem plötzlichen Tod mit 56 Jahren fortbestand. „Rons Verkehrssündenregister war beachtlich, und sein Fahrverhalten wies nahezu alle Risikofaktoren auf, die ich und andere Forscher im Zusammenhang mit ADHS identifiziert haben.“ Verschiedene US-Studien zeigen die Problematik einer ADHS im Zusammenhang mit dem Autofahren auf. Es ist erwiesen, dass Betroffene im Strassenverkehr im Gegensatz zu Nichtbetroffenen
  • oft viel unaufmerksamer und leichter ablenkbar sind
  • häufiger keine Gurten tragen
  • ohne Freisprechanlage telefonieren oder während des Fahrens ihre SMS/Mails checken
  • einen aggressiven oder unberechenbaren Fahrstil pflegen und gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern ausfällig reagieren.
 
Daraus resultieren im Vergleich zu Menschen ohne ADHS mehr Unfälle, Geschwindigkeitsübertretungen, Fahrausweisentzüge oder hohe Bussen. Russell A. Barkley vermittelte im Ratgeber viele Tipps. Er betont jedoch auch ausdrücklich, dass ADHS-bedingte Fahrprobleme medikamentös gut behandelbar sind und bedauert, dass sein Bruder diesbezüglich zu unbekümmert und desorganisiert war und seine Medikamente nie regelmässig oder lange genug genommen hatte. 
 
Erschienen ist Das grosse Handbuch für Erwachsene mit ADHS, bei Hogrefe CHF 39.90

ADHS Analog

Ursula Ammann
 
In einer regelmässigen Serie schreibt Ursula Ammann über analoge Methoden, die sich im Therapie und Coaching-Bereich bewährt haben. Heute zum Thema:
 
Uno Spielen als Psychoedukation und Co
 
Ich gebe es zu: die Idee stammt nicht von mir. Ein junger Mann aus der Transgender Community war bei mir. Er sprach noch nicht so viel und wir hatten noch eine halbe Stunde Zeit. Spontan fragte ich ihn, was er denn gerne machen würde. Da richtete er sich mit leuchtenden Augen auf und fragte, ob ich ein Uno-Spiel da hätte. Sie würden das an ihren Treffen oft spielen und hätten Zusatzregeln. Jeder Farbe sei eine Bedeutung zugeteilt.
 
Rot       Das mache ich gar nicht gerne
Grün    Das mache ich richtig gerne
Gelb     Stelle deinem Gegenüber eine Frage
Blau     Erzähle eine Kindheitserinnerung
 
Wir hatten eine sehr vergnügte halbe Stunde zusammen und erfuhren viel voneinander.
 
Ich schnappte die Idee auf und adaptierte sie für meine Klienten, für die Supervision und für meine Studierenden. Überall waren alle begeistert dabei und wir hatten innert kürzester Zeit gute Lern-Verknüpfungen.
 
Besonders bewährt haben sich die beiden folgenden Vorlagen:
 
Für Einzel- oder Gruppensettings
 
 
 
 
Für Gruppen ab drei Personen
 
                  
Man kann die Fragen fast unendlich variieren. Z.B. «tolle Ideen um leichter zu lernen»; «das fällt mir besonders schwer»; «da war ich mal richtig gut» etc.
 
Spielerisch wird der Zugang zu ev. schwierigen Fragen erleichtert und das Selbstwertgefühl gestärkt.  Nebenbei wird die Vernetzung und Verknüpfung von Lerninhalten spielerisch möglich. Mit einem Klienten, der sich in Französisch verbessern musste, habe ich eine Farbe mit Fragen in der Fremdsprache versehen. Die Fragen können auch auf die Stärken und Interessen der Klienten abgestimmt werden, so stand die Farbe Blau bei einem Buchhändler für die Aufforderung «erzähle mir von einem Buch, das Du gelesen hast». Von uns auf der Therapeuten/Coach-Seite braucht es allerdings Offenheit, die Fragen auch zu beantworten, die unter Gelb dann jeweils kommen ;-)
 
Ich wünsche Ihnen/Dir fröhliches Spielen. Wie immer stehe ich für Fragen gerne zur Verfügung Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
 

Ein Meisterwerk über das sprachlose Entsetzen

Buchvorstellung Isolde Schaffter-Wieland, Vorstandmitglied SFG ADHS
 
Die Anfrage einer Institution sozialpädagogisch geführter Pflegefamilien zum Thema ADHS und Trauma hat mich bei Recherchen zu diesem Thema zum spannenden und enorm info­r­mativen Grundlagenwerk „Verkörperter Schrecken – Traumaspuren in Gehirn, Geist und Körper und wie man sie heilen kann“ von Dr. Bessel van der Kolk geführt. Der renommier­te Professor der Psychiatrie an der Boston University ist Leiter des National Complex Trau­ma Treatment Networks. Er befasst sich seit Jahrzehnten mit der Entstehung, den Hinter­grün­den und der Heilung von Traumata. Dies unter Einbezug der Neurowissen­schaft, Ent­wick­lungspsychopathologie sowie der interpersonalen Neurobiologie.
Die ADHS-Veranlagung erhöht bei gegebenen Umständen das Risiko eine PTBS zu entwickeln. Dazu hält der Mediziner und selbst betroffene Walter Beerwerth in seiner Rezension fest: „Eine PTBS wegen Vernachlässigung oder Misshandlung im frühen Kindesalter führt zu dauernden Veränderungen im Gehirn, die denen bei einem ADHS weitgehend gleichen oder ein vorhandenes verstärken...“
Van der Kolk bestätigt in seinem Buch die Erkenntnisse, dass das Einkommen, die Familien­struktur, die Wohnsituation, die berufliche Position und die Ausbildungschancen nicht nur aus­schlaggebend dafür sind, in welchem Masse Menschen Gefahr laufen, trau­matische Belastungszustände zu entwickeln, sondern auch dafür, ob und in welchem Masse sie in den Genuss effektiver Hilfe bei der Überwindung ihrer Probleme gelangen.
Untersuchungen in den drei neuen Wissenschaftsbereichen (Neurowissenschaft, Entwick­lungs­psychopathologie und interpersonale Neurobiologie) haben ergeben, dass Traumata zu physiologischen Veränderungen führen – unter anderem des Alarmsystems des Ge­hirns, was zu einer verstärkten Ausschüttung von Stresshormonen und zu Veränderungen im System führt, welches relevante Informationen von irrelevanten trennt. Van der Kalk: „Wir wissen heute, dass Traumata sich negativ auf den Gehirnbereich auswirken, der das physische, verkörperte Empfinden des Lebendigseins vermittelt. Diese Veränderungen erklären, warum Traumatisierte auf Gefahren mit Hypervigilanz reagieren und warum dies ihre Fähigkeit zu spontanem Verhalten im Alltagsleben beeinträchtigt. Außerdem helfen sie uns zu verstehen, weshalb Traumatisierte so oft die immer wieder gleichen Probleme be­kommen und weshalb es ihnen so schwer fällt, aus Erfahrung zu lernen. Wir wissen heute, dass ihr Verhalten keine Folge eines moralischen Mangels, unzureichender Willenskraft oder einer Charakterschwäche ist, sondern dass es durch reale physische Veränderungen in ihrem Gehirn verursacht wird.“
Im Epilog hält Bessel van der Kolk fest, dass es mit Hilfe komplizierter Imaging-Verfahren gelungen ist herauszufinden, wie und wo PTBS im Gehirn entsteht, so dass wir jetzt ver­stehen, warum Traumatisierte sich durch Geräusche und Lichter gestört fühlen und weshalb sie manchmal Wutanfälle bekommen oder sich bei der kleinsten Provokation aus dem Kontakt zurückziehen. Wir wissen heute, wie Ereignisse im Laufe des ganzen Lebens eines Menschen Struktur und Funktion seines Gehirns und sogar die Gene verändern, die er an seine Kinder weitergibt. Und wenn wir viele der Prozesse verstehen, die traumatischen Be­lastungszuständen zugrunde liegen, so ermöglicht uns dies, die Entwicklung der verschie­densten Interventionen, die jene Gehirnbereiche, die bei der Selbstregulation, Selbstwahr­neh­mung und Aufmerksamkeit eine Rolle spielen, wieder funktionsfähig machen. Wir wissen inzwischen nicht nur viel über Möglichkeiten, Traumata zu behandeln, sondern auch darüber, wie wir ihre Entstehung von vornherein verhindern können.
 
 
 
Van der Kolk beschreibt in seinem Werk nebst eindrücklichen Fallbeispielen auch ausführlich die von ihm jahrzehntelang im Trauma-Center erprobten Heil- und Therapiemethoden wie EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing), Neurofeedback, IFS (Self-Leader­­ship) und Achtsamkeitstraining und verweist auch auf die heilsame Wirkung des Schreibens. „Verkörperter Schrecken“ vermittelt ein faszinierendes und neuartiges Verständnis für die Ursachen und Folgen von Traumata und schenkt Hoffnung und Klarheit. Um es mit Dr. Walter Beerwerth’s Worten zu bestätigen: „Endlich ein fundiertes, lesbares, umfassendes und mitfühlend verfasstes Buch aus der Mitte der Forschung, was unter Nutzung der Neurobiologie hilft, den einzelnen Kranken zu verstehen und zu schätzen. So sollte Psychiatrie sein."
 
G.P. Probst Verlag GmbH
4. Auflage 2017, 496 Seiten, Klappenbroschur, ISBN 978-3-944476-13-1  l
36 EUR (D)
 

Hinweise auf Veranstaltungen 2019

Felicitas Furrer, Geschäftsleiterin SFG ADHS
 
  • Donnerstag, 21. März 2019:14.00 – ca. 17.30 Uhr: Mitgliederversammlung der SFG ADHS, mit Referaten zum Thema «ADHS und Autismus bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen» von Dr. med. Peter Eisler und Dr. med. Ronnie Gundelfinger, Bahnhofbuffet Olten
Weitere Informationen folgen auf www.sfg-adhs.ch.
 
  • Samstag, 22. Juni 2019, 08.15 – ca. 15.45 Uhr:6. Nationale ADHS Tagung für Betroffene und Fachpersonen, Universität Zürich, Rämistrasse 71, Zürich
Tagungsthema: ADHS - (K)ein Thema mehr? .
Weitere Informationen folgen auf www.sfg-adhs.ch oder https://befa-adhs.ch/
 
  • Freitag 13.- Sonntag 15. September 2019: 1. Internationaler deutschsprachiger ADHS-Kongress über Landes-, Alters- und Berufsgrenzen hinaus.
Weitere Informationen folgen auf www.sfg-adhs.ch